Paola hatte einen Plan. Zugegeben, es war kein sehr guter Plan. Bei näherer Betrachtung war es eigentlich gar kein Plan. Es war schlicht da einzige, was ihr einfiel. Also klammerte sie sich daran, um nicht durchzudrehen.
„Ich muss mal.“
„He Boss“, rief einer der Wächter. „Die Kleine muss mal pissen.“
Der Schlitten hielt. Paola stand auf und streckte sich umständlich. Dabei konnte sie einen Blick nach vorne werfen. Da war tatsächlich noch ein Schlitten, auf dem die drei anderen Banditen saßen.
„Ich brauch meinen Rucksack“, sagte Paola.
Der Bandit den die anderen Boss nannten warf ihren Rucksack einem ihrer Wächter zu. Paola hatte beschlossen, die Burschen zu nummerieren, bis sie ihre Namen kannte. Boss war die Nummer eins, ihre beiden Wächter waren Zwei und Drei. Auf dem Kutschbock neben dem Boss saß Vier.
„Durchsuchen!“
Zwei kramte in ihrem Rucksack. „Nix drin. Nur zwei Bücher und Weiberkrams.“
„Bücher? Was für scheiß Bücher denn?“, wollte Boss wissen.
„Keine Ahnung, kannst du etwa lesen?“, antwortete Zwei.
„Ach zum Teufel. Was kann sie mit Büchern schon anrichten. Lasst sie pissen, aber sorgt dafür, dass sie nich wegläuft.“
Drei band ihr ein Seil um den Hals. „Du kannst genau so weit, wie der Strick ist.“
„Nich um den Hals, du Idiot“, fuhr Boss Drei an. „Das hinterlässt Spuren. Und nur unbeschadet bringt die Kleine was ein. Um den Bauch. Muss ich euch dreckigen Bastarden etwas alles erklären?“
Paola nahm ihren Rucksack, stieg vom Schlitten und setzte sich außer Sichtweite hinter einen Busch. Das ihre Entführer scheinbar alle nicht lesen konnten, konnte ein Vorteil für sie sein. Und die Burschen schienen ein zusammengewürfelter Haufen zu sein. Solche Gruppen hatten zwei wesentliche Merkmale: erstens, sie misstrauten einander. Und zweitens, die Aussicht auf Beute lies sie zusammenhalten, war aber gleichzeitig auch ihre Achillesferse. Als sie fertig war, knickte sie ein paar Zweige nach oben ab. Dann malte sie einen nicht ganz runden Kreis in den Waldboden, daneben ein Rechteck und verband die beiden mit einem Strich. Dabei musste sie an Fynn denken. Daran wie sie beide nackt nach einem Bad im See in der Wiese lagen und von einer gemeinsamen Zukunft träumten. Fynn hatte die selben Symbole auf ihren Körper gemalt, die sie in den Waldboden gemalt hatte. Einen Kreis für den See, ein Rechteck für die Hütte und einen Strich dazwischen für den Steg.
„Wie findest du dich beim Jagen im Wald zurecht?“, hatte sie ihn gefragt.
„Ich knicken Zweige und kleine Äste ab. Immer nach oben, so kann ich sie nicht verwechseln.“
Ein kräftiger Ruck am Seil riss sie zur Seite und zurück in die Realität. Sie fuhren noch eine Weile mit dem Schlitten, dann schlugen sie das Nachtlager auf.
„Kannst dich nützlich machen“, schnauzte Boss sie an. „Was kannste denn?“
„Kochen“, sagte Paola.
„Na sieh mal einer an, unsere Hochwohlgeborene kann Kochen. Bist ja doch zu was nütze, wenn wir schon keinen Spaß mit dir haben können. Normal kocht immer Guido, is aber n´scheiß Fraß.“
Paola kochte und die Männer richteten das Nachtlager. Nach dem Essen teilte Boss die Wachen ein. 7 -2-Boss-Guido-3-6-4 hatten bis zum Morgengrauen abwechselnd Wachdienst. Bevor sie sich Schlafen legten, hinterließ Paola noch ihr Zeichen an einem der Büsche. Paola lag noch eine Weile wach. Sie hatte niemandem von ihrer Vergangenheit erzählt. Deswegen wusste jetzt auch keiner ihrer Freunde, nicht mal Fynn, wo sie jetzt nach ihr suchen sollten. Plötzlich kam ihr die Idee mit den Zeichen lächerlich und sinnlos vor. Wenn sie Glück hatte konnte sie ein paar Kräuter sammeln und für ihre Entführer eine kleine Überraschung brauen. Der Gedanke gab ihr wieder Mut.
Den hatte sie auch noch am nächsten Morgen. Statt Zwei und Drei waren heute Vier und Sieben zu ihrer Bewachung eingeteilt. Sie musterte Sieben unauffällig, als ihr Blick an einem kleinen Symbol an der Axt in seinem Gürtel hängen blieb. Mit einem Schlag war alle Hoffnung dahin. Sie beugte sich über den Rand des Schlitten und übergab sich.
Das Symbol war das Wappen des Grafen von Cerveteri. Vor der Ehe mit ihm war sie geflohen. Jetzt kehrten ihre Alpträume zurück. Das, was ihre Entführer mit ihr machen würden war nichts, verglichen mit der Hölle, die auf sie wartete.