Opa Kester war verzweifelt. Er saß alleine an einem Tisch. Seit Jytte verhaftet wurde war er gezwungen, in den Gaststuben in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung zu essen. Wohnung war der falsche Ausdruck. Kurz nach der Verhaftung hatte sein Vermieter ihn aus der Wohnung geworfen. Um nicht auf der Straße schlafen zu müssen hatte er für sich und die kleine Nilla ein winziges Zimmer mit einem Fenster, dass den Namen nicht verdiente, gemietet. Tagsüber kümmerte sich das Gesinde des Gastwirts um die Kleine – natürlich gegen einen Aufpreis auf die Miete. So hatte er wenigstens die Gelegenheit, mehrmals täglich am Gefängnis vorzusprechen. Doch man lies ihn einfach nicht mit Jytte sprechen. Bis auf heute. Heute wurde er in einen kleinen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen geführt. Nach einer Weile führte eine Wache Jytte herein.
„Beeilt euch, der Richter wird das Urteil jeden Moment verkünden.“
Jetzt saß Opa Kester in der Gaststube und dachte immer wieder über das kurze Gespräch mit seiner Enkelin nach. Sie war schmutzig und hatte etwas an Gewicht verloren. In der „Verhandlung“ hatte sich der Richter lediglich einer lästigen Formalität entledigt, das Urteil stand vermutlich auch schon fest. Sein einziger Ausweg war, dass er mit seinem letzten Geld den Richter bestechen könnte. Vielleicht würde er so wenigstens einen Aufschub für Jytte gewinnen, bis Topa und seine Freunde ihm zu Hilfe kamen. Falls die überhaupt kommen würden.
Zur gleichen Zeit wurde Jytte vor den Richter geführt.
„Du hattest eine faire Verhandlung“, begann der Richter. „Beweise für deine Unschuld hast du nicht erbracht. Weiter ist dein Ruf nicht der beste. Um deine Schuld an der Gesellschaft zu begleichen, wirst du in fünf Tagen gehängt. Die Sitzung ist geschlossen.“
In einem kleinen Wäldchen ein wenig außerhalb der Stadt hatten Fynn, Topa und Lele ihr Lager eingerichtet. Sie hatten sich beim Fahren abgewechselt und den Rentieren nur kurze Pausen gegönnt.
„Wir teilen uns auf“, sagte Fynn.
„Topa und ich gehen in die Stadt. Ich erkunde das Gefängnis und Topa sucht nach Opa Kester.“
„Und was soll ich machen?“, fragte Lele.
„Du nimmst den Schlitten und fährst zum alten Hof von Opa Kester. Dort versteckst du dich und wartest auf Toni und Jarkko. Jarkko wird dir dann sagen, was zu tun ist.“
„Aber ich könnte viel mehr helfen wenn ich mit nach Opa Kester suche.“
„Wir können nicht alle gleichzeitig in die Stadt. Wenn etwas passiert, brauche ich dich außerhalb der Stadtmauern. Im Gefängnis nützt du mir nichts. Außerdem kann ich nicht riskieren, dass dich später jemand in der Stadt erkennt. Topa und ich sind unauffälliger. Eine hübsche Frau, die allein unterwegs ist erzeugt Aufmerksamkeit. Es wäre strategisch ein Fehler, dich jetzt in die Stadt zu schicken.“
„Aber….“
„Du bekommst deinen Einsatz noch früh genug. Jetzt brauche ich dich bei Jarkko.“
Lele stieg auf den Schlitten und fuhr davon.
„Meinst du, du hast sie überzeugt?“; fragte Topa.
„Werden wir sehen“, antwortete Fynn. „Für den Moment ist sie beschäftigt.“
Sie betraten die Stadt durch getrennte Tore. Die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen streiften sie durch die Straßen der Stadt. Fynns Anweisungen waren klar. Topa prägte sich möglichst viele Details ein.
Und Fynn lag mit seiner Vermutung richtig. Topa suchte zunächst in den Gaststuben in der Nähe des Gefängnisses. Bereits in der zweiten wurde er fündig.
Er setzte sich an einen Tisch genau im Blickfeld von Opa Kester. Als dieser ihn entdeckte schüttelte Topa leicht den Kopf. Dann trank er aus und verließ den Gastraum. Draußen positionierte er sich so, dass er den Eingang der Gaststube im Auge behielt. Als der alte Mann den Gastraum verließ folgte er ihm.