Nicht nur auf Livdröm war die Stimmung schlecht. Das ganze Weihnachtsdorf war in Sorge um Paola. Fynn streifte tagelang durch die Gegend rund um das Weihnachtsdorf und suchte nach Paola.
Doch weder er, noch die Freunde auf Livdröm hatten auch nur die geringste Spur von ihr entdeckt. Mittlerweile war die Ernte längst eingebracht und die Bäume hatten schon einen Großteil ihrer Blätter verloren.
Doch Fynn hatte keinen Blick für die schönen Farben des Herbstes. Seine Gedanken drehten sich nur um Paola. Und um die Frage, ob sie seinetwegen entführt worden war. Niemand konnte vor seiner Vergangenheit weglaufen. Und es war dumm von ihm gewesen, es zu probieren. Vor allem, wenn man so schreckliche Dinge wie er getan hatte. Er alleine war Schuld, dass Gewalt und Verbrechen im Weihnachtsdorf angekommen waren. Durch ihn hatte das Dorf nun seine Unschuld und seinen Frieden verloren. Und seine Bewohner und Paola zahlten den Preis für seinen Fehler. Wenn er Paola je wieder sehen würde, würde sie ihm dann verzeihen können? Würde er selbst sich je verzeihen können? Mit solch finsterer Miene war Fynn auf dem Weg nach Livdröm. Er wusste nicht, was er sonst hätte tun sollen. Die Entführung hatte hier stattgefunden. Also musste er hier bleiben und warten. Wegzugehen würde ihn nur noch weiter von Paola entfernen. Bis jetzt hatte er niemandem von seiner Vergangenheit erzählt. Wenn er es jetzt tun würde, würde er die Unterstützung seiner Freunde auf Livdröm verlieren. Davon war er überzeugt. Also war er zur Untätigkeit gezwungen. Für ein wildes Tier gab es nichts schlimmeres, als tatenlos dem Schicksal ausgeliefert zu sein.
Als er nur noch wenige Schritte vor der Eingangstür stand, hörte er von drinnen lautes lachen und fröhliche Menschen. Wie konnten sie fröhlich sein, wenn Paola verschwunden war? Oder war sie etwa wieder aufgetaucht? Aber dann hätten sie ihn längst benachrichtigt. Er öffnete die Tür und war sofort in Alarmbereitschaft.
Am Tisch saßen Vendela, Boje, Topa, Lele und Jarkko. Automatisch legte er eine Hand an da Messer an seinem Gürtel.
„Hallo Fynn“, rief Vendela. „Darf ich dir Janne vorstellen? Er weiß wo Paola ist. Sie lebt. Ist das nicht fantastisch?“
Fynn war nicht überrascht, dass Jarkko sich unter falschem Namen vorgestellt hatte. Aber was hatte das zu bedeuten? War Jarkko ein Feind oder ein Freund? Bis er das herausgefunden hatte, war es besser, sich nichts anmerken zu lassen.
„Stell dir vor, Paola wurde von einem Graf von Cerveteri entführt. Er stammt aus dem selben Dorf, in dem Paola aufgewachsen ist“ fuhr Vendela fort.
„Ich danke dir sehr, dass du dich auf den weiten Weg gemacht hast, um uns die gute Nachricht zu bringen“, zwang sich Fynn zu einer möglichst freundlichen Begrüßung.
Er setzte sich an den Tisch, die Hand immer noch am Messer. „Erzähl mir bitte alles, was du weißt“, forderte er Jarkko auf.
Jarkko erzählte, dass er auf seiner Reise nach Süden in einem Dorf halt gemacht hatte. Da ihm das Geld ausging, fragte auf einem Landgut nach Arbeit. Wegen seiner Kraft und seiner Geschicklichkeit im Umgang mit Werkzeugen und bei der Jagd wurden bald die Hausherren auf ihn aufmerksam. So gewann er nach und nach ihr Vertrauen und wurde mit Sonderaufgaben betraut. Eines Tages riefen sie ihn zu einem vertraulichen Gespräch ins Haus. Die Hausherrin erklärte ihm, dass ihre Tochter Paola entführt worden war. Sie baten ihn, hierher zu reisen und ihren Cousin Topa zu benachrichtigen.
Für Fynn hörte sich die die ganze Geschichte unglaubwürdig und erfunden an. Er musste mit Jarkko alleine reden.
„Wie bist du hierher gekommen?“, fragte er Jarkko. „Zu Fuß?“
„Nein, draußen steht noch mein Schlitten mit den Rentieren.“
„Das wenigste was ich als Dank für dich tun kann, ist deine Rentieren zu versorgen“, sagte Fynn.
„Ich komme mit und hole mein Gepäck“, erwiderte Fynn.
Die beiden Männer gingen hinaus, jeder die Hand in der Nähe seines Messers.