15 Vom Regen in die Traufe

Jeder brauchte ein paar Augenblicke, um zu begreifen, was eben passiert war und was das zu bedeuten hatte. Lele wagte nicht, Paola in die Augen zu schauen. Paola schleuderte abwechselnd Blitze und Flüche in alle Himmelsrichtungen. Vendela war auf das Sofa gesunken und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Topa und Boje wendeten sich ihren Freundinnen zu, um sie zu trösten. Doch Lele brauchte keinen Trost. Topa erkannte zu spät, dass weder Trauer noch Enttäuschung für Leles Tränen verantwortlich waren. Die Wut verlieh Lele ungeahnte Kräfte. Mit einem Satz sprang sie an allen vorbei ins Freie und stürmte Richtung Weihnachtsdorf. Bevor die Freunde reagieren konnten, war sie schon die lange Auffahrt hinunter gerast und im Dunkel verschwunden.

„Hol sie zurück!“ sagte Boje zu Topa. „Wir kommen hier zurecht.“

Topa schnappte sich ihre Jacken und nahm mit dem Schlitten die Verfolgung auf. Als er sie eingeholt hatte, versuchte er sie zum stehenbleiben zu überreden. Doch Lele reagierte nicht. Also gab er den Rentieren das Kommando, schneller zu laufen. Sobald er ausreichen Vorsprung hatte, stoppt er den Schlitten, sprang von seinem Sitz und stellte sich Lele in den Weg. Sie schien ihn nicht zu sehen und er brauchte seine ganze Kraft, um sie mit beiden Armen zu umklammern und zum stehenbleiben zu zwingen.

„Aaargh!!!Lass mich los!! Du sollst mich loslassen!“ schrie sie. Doch Topa lockerte seinen Griff nicht. Lele trat nach ihm und versuchte, sich loszureißen.

„Jetzt lass mich endlich los!!!Aah!! Du tust mir weh!“

Leles Kräfte schienen nicht nach zulassen und Topa bekam langsam Angst, er würde ihr wirklich weh tun. Doch schließlich wurde ihre Gegenwehr schwächer. Ihre Schreie wurden leiser und schließlich sank sie in sich zusammen. Topa setze sich auf den Boden und hielt Lele solange im Arm, bis sie vor Erschöpfung nicht mehr weinen konnte. Er war ratlos, was er jetzt tun oder sagen sollte. Also stand er auf und holte ihre Jacke und ein Rentierfell. Widerstandslos ließ sie sich die Jacke anziehen. Sobald auch er seine Jacke angezogen hatte schlang sie ihre Arme um ihn und legte ihren Kopf an seine Brust.

„Geht´s wieder?“ fragte Topa.

„Warum tut sie das? Wir haben ihr nichts getan. Paola hat ihr nichts getan.“

„Ich weiß es nicht.“

Nach einer Pause sagte Lele:

„Es ist alles meine Schuld. Ich habe alles kaputt gemacht.“

Die Überzeugung, mit der Lele plötzlich sprach, erschreckten ihn und machten ihm Angst.

„Nein, das darfst du nicht sagen, nicht mal denken.“

„Doch. Sie hat es nicht geschafft, mich nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihren Schutz nicht mehr brauche und dass meine Freunde für mich da sind.“ Lele sprach völlig ruhig und klar. „Und jetzt rächt sie sich an euch. Sie weiß genau, dass sie mich so am meisten treffen kann. Deswegen ist es meine Schuld.“

Topa wusste, dass Lele recht hatte. Und das machte ihm noch mehr Angst. Ihr nächster Satz sollte seine Angst nochmals größer werden lassen.

„Ich muss ins Dorf und das wieder gut machen.“

„Auf keinen Fall“ jappste Topa. Seine Angst wurde langsam zur Panik und seine Stimme versagte.

„Doch. Ich muss das wieder hinkriegen. Sonst lässt sie uns nie in Ruhe und wer weiß, was sie sich als nächstes ausdenkt.“

„Lass uns doch erstmal nach Livdröm fahren und in aller Ruhe nachdenken. Gemeinsam mit unseren Freunden finden wir bestimmt eine Lösung“, sagte Topa wenig überzeugend.

„Nein, ich kann nicht. Ich kann ihnen erst wieder in die Augen schauen und um Verzeihung bitten, wenn ich das ein für alle mal geklärt habe.“

„Und wie willst du das machen?“ fragte er hilflos. „Willst du vielleicht in den Krieg ziehen?“

„Wenn es ein muss, ja. Wenn sie Ärger will, dann bekommt sie Ärger.“

„Bitte Lele“, flehte Topa. „Lass uns gemeinsam nachdenken, mit unseren Freunden.“

„Ich kann nicht.“

„Warum?“

„Es ist so ungerecht, dass es mir das Herz zerreißt. Boje und Vendela sind unsere besten Freunde und Paola ist auch meine Schwester. Ich kann mit dieser Schuld nicht zurück nach Livdröm.“

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