2/2020 Die ersten Tage auf See

Derweil saßen in der Wohnstube auf Livdröm die Freunde pärchenweise zusammen und warteten darauf, dass Fynn die Geschichte seiner Überfahrt weiter erzählen würde. Boje hatte seine Frau Vendela im Arm, Topa und Lele saßen zusammen und Fynn hatte Paola eng an sich gezogen. Alle warteten auf Oma Lerke, die die Zwillinge Elin und Keld ins Bett brachte. Jeder hing seinen Gedanken nach und versuchte sich an die letzten Abende zu erinnern.

Dann war da noch Tomte Tumetott. Der Kobold saß wie immer auf einem der Dachbalken und wachte unsichtbar über die Bewohner und Gäste auf Livdröm. Und wie immer hatte er seine eigene Sicht der Dinge. Zwar saßen alle in einem Raum und die Pärchen saßen zusammen, doch ihn beschäftigten die Unterscheide.

Vendela und Boje waren voller Mitleid für den armen Casper, der besonders unter den brutalen und willkürlichen Launen des ersten Offiziers Pal zu leiden hatte. Paola war voller Bewunderung und Stolz auf ihren Mann. Zumindest hoffte sie, dass er bald ihr Mann sein und ihr einen Heiratsantrag machen würde. Ihr Bauch war nun nicht mehr zu übersehen.. Fynn kümmerte sich rührend um sie; manchmal ein bisschen zu sehr. Aber sie genoss seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Fynn hatte viele Erlebnisse auf seiner Reise – er versuchte das Wort Flucht zu vermeiden – verdrängt. Für ihn waren die Abende ein erneutes durchleben und er war am stärksten berührt von seinen eigenen Erzählungen. Lele hingegen war fasziniert von der Rohheit der Männer. Fasziniert von der Macht, die die Gewaltbereitschaft den brutalsten unter Ihnen verlieh. Besonders gefiel ihr die Dynamik und männlichen Stärke, wenn Fynn von Kämpfen und Schlachten erzählte. Lele spürte eine unbeschreibliche Lebendigkeit und Anziehungskraft, wo andere nur Gewalt, Blut und Tot sahen.

Nur Topa dachte nicht an die Geschichte. Er dachte an Jytte. Aber er dachte nicht wegen Jytte an Jytte, sondern wegen Lele. Genauer gesagt fragte er sich, was sie an Gewalt so faszinierend fand und ob Jytte auch so denken würde. Das diese im Moment am meisten davon betroffen war, ahnte er da noch nicht.

Oma Lerke setzte sich wie immer in den Sessel der dem Feuer am nächsten stand, nicht ohne vorher jedem noch eine Tasse Tee einzuschenken.

„Casper erholte sich nur sehr langsam von den Peitschenhieben“, begann Fynn seine Erzählung für heute.

Fynn achtete peinlich darauf, dass Casper sich nicht all zu sehr überanstrengte und genug Essen und Schlaf bekam. Dabei musste er stets auf der Hut sein vor Pal. Der lies die beiden nicht aus den Augen und hatte sichtlich Spaß daran, Fynn bis zur Erschöpfung zu quälen.

„Du fauler Hund“, schrie er Fynn an. „Das ist keine Vergnügungsreise, also bißchen Beeilung.“

Je müder und erschöpfter Fynn wurde, umso weniger Aufgaben konnte er Casper abnehmen.

Der Koch, den alle nur Smut oder Tahg nannten, brachte Ihnen soviel Essen und Trinken, wie er heimlich abzweigen konnte. Tahg war die Kurzform von Tahge und irgendwer an Bord der Marten hatte es tatsächlich geschafft, diesen ans ich kurzen Namen noch kürzer zu machen.

Der Smut hatte Fynn die meist ungeschriebenen Gesetzte und Regeln an Bord beigebracht. Als Frischling an Bord stand Fynn nicht nur bei Pal unter besonderer Beobachtung, sondern auch beim Rest der Mannschaft.

Die Tage auf Seen hatten einen festen Ablauf. Ein Tag war in zwei Wachen eingeteilt. Eine lange Wache von Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang und eine kürzere Wache von Mitternacht bis zum Morgengrauen. Fynn verbrachte die Tage damit, das Deck zu schrubben und kleinere Reparaturen an Bord auszuführen. Den Kapitän der Marten bekam die Mannschaft nicht zu Gesicht.

Doch Tahge hatte Fynn noch etwas beigebracht. Ein zunehmender Teil der Mannschaft war bereit, gegen Pal zu meutern. Die Hilfe von Taghe war also nicht so selbstlos, wie dieser immer behauptete.

„Achte auf die Männer, die eine kleine grüne Schleife an ihrem Gürtel tragen“, hatte Tahge ihm erzählt. „Auf die kannst du zählen, wenn du losschlägst.“

Doch Fynn zählte weit nicht so viele Männer, wie die Erzählungen von Tahge vermuten ließen. Und er war ganz und gar nicht bereit, in eine Meuterei verwickelt zu werden.

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