2 Die Lösung liegt im Gegenteil?

Vendela war gegangen und Lele hatte sich hingelegt. Draußen war es längst dunkel, das Dorf und auch das Krankenhaus kamen langsam zur Ruhe.

Das Gespräch mit ihrer besten Freundin hatte ihr gut getan. Sie vertraute Vendela, auch wenn sie ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte. Einige Gedanken mussten ihr Geheimnis bleiben. Davon würde sie nie jemandem erzählen. Es war ihr einfach zu peinlich. Die Schwester kam herein und brachte ihr Tee für die Nacht.

„Soll ich die Vorhänge zu machen?“ wollte die Schwester wissen.

„Lass sie bitte offen.“

„Gerne. Ich schau später nochmal nach dir.“

Lele nahm ihr Buch aus dem Nachttisch und fing an zu lesen. Nach einer Weile spürte sie etwas am Fußende ihre Bettes, beachtete es aber nicht weiter. Tomte Tummetott saß dort im Schneidersitz und wartete geduldig. Erst als Lele ihr Buch zur Seite legte um zu schlafen, bemerkte sie den freundlichen Kobold.

„Sitz du schon lange da?“, wollte sie wissen.

„Wenn du so lange lebst wie ich, kommt einem das Warten nie lange vor.“ Lele war berührt von der freundlichen Wärme in seiner Stimme.

„Guten Abend Lele, ich hoffe ich habe dich nicht erschreckt?“, fragte Tomte, obwohl er die Antwort kannte. Die Leute erschreckten nie über sein plötzliches Erscheinen.

„Guten Abend Tomte. Du hast mich nicht erschreckt.“

„Was liest du da?“

„Ein Buch von Topa. Es handelt von einem alten Mann, der am Ende seines Lebens mit seinen Entscheidungen hadert und sich fragt, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er sich in manchen Situationen anders entschieden hätte. Schön, dass du mal vorbeischaust.“

„Ich wollte einfach mal nach dir sehen und erfahren, wie es deinem Bein geht“.

„Danke, dem geht es sehr gut.“

„Und was bedrückt dich?“

Die Leute erschreckten auch nie über seine Fragen.

„Meine Mutter“, platzte Lele spontan heraus.

Die Leute erschreckten auch nie über ihre Antworten auf sein Fragen. Tomte saß immer noch im Schneidersitz am Bettende und fragte unschuldig:

„Wieso, was macht sie denn?“

„Sie treibt mich zu Entscheidungen, die ich nicht will.“

„Also war es nicht deine Entscheidung, zu den Menschen zu fahren?“

„Nein“, erwiderte Lele.

„Doch“, gab sie nach einer kleinen Pause etwas kleinlaut zu. „Aber ich war wütend und habe nicht nachgedacht. Ich bin aus dem falschen Grund hingefahren.“

„Was war denn der wahre Grund?“

Gute Frage, dachte Lele. Was war der wahre Grund? Lele´s Gedanken drehten sich im Kreis, sie konnte den wahren Grund einfach nicht finden.

„Keine Ahnung“, gab sie schließlich auf.

Mit der Frage, warum sie Krankenschwester geworden sei, versuchte Tomte ihre Gedanken wieder zu ordnen. Die Leute erschreckte auch seine scheinbare Fähigkeit, Gedanken zu lesen, nicht.

Aber Lele gefiel ihre Antwort auf diese Frage nicht.

„Was hat das mit meiner Mutter zu tun?“ fragte sie, um seiner Frage – oder besser ihrer Antwort – auszuweichen.

„Nun,“ fuhr Tomte fort. „Du hast zwei Möglichkeiten, eine Entscheidung, und sei sie noch so unscheinbar, zu treffen. Du kannst dich für das entscheiden was du willst, oder gegen das, was du nicht willst.“

„Wo ist da der Unterschied?“

„In den Folgen aus deiner Entscheidung und der Anerkennung durch andere.“

Anerkennung. Da war es wieder, dieses Wort, das ein Gefühl beschreibt, dass sie so oft verletzt hat. Manchmal, dachte Lele, kann ich das schon gar nicht mehr voneinander trennen.

Schließlich wurde ihr das Schweigen peinlich.

„Ich bin nicht ganz sicher, worauf du hinaus willst.“

„Die Antwort“, sagte Tomte und deutet auf das Buch auf dem Bettkästchen, „die Antwort, findest du in dem Buch.“

Lele schaute auf das Buch und bemerkte so nicht, wie Tomte aufstand und seine Mütze aufsetzte. „Es wird Zeit für mich“, sagte er. „Ich habe dich schon viel zu lange vom Schlafen abgehalten.“

So leise wie er gekommen war, so leise verließ er auch wieder die Stube.

Als die Nachtschwester noch einmal hereinschaute, schlief Lele schon tief und fest.

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