Viele Tagesreisen entfernt taten zwei Menschen zur selben Zeit das gleiche wie die frischvermählten im Weihnachtsdorf. Mit dem Unterschied, dass die beiden nicht verheiratet waren. Zumindest der Mann war nicht verheiratet. Die Frau schon, nur nicht mit diesem Mann. Beide wussten es, und beide störten sich nicht daran.
Andere hätten auch über den Altersunterschied die Nase gerümpft. Doch auch das ignorierten die beiden ebenso wie die Tatsache, das jeder mit dieser Affäre nur seine eigenen Bedürfnisse befriedigte.
Die Frau genoss die wilde und ungezügelte Leidenschaft. Der Mann genoss es, dass sie nicht so zimperlich war wie die Frauen mir denen er sonst ins Bett stieg. Die kreischten schon bei jedem kleinen Klaps. Diese Frau schien es dagegen zu genießen und jammerte auch nicht, wenn mal ein blauer Fleck das Ergebnis war.
Doch es waren nicht die Grobheiten oder das anrüchige an einer Affäre zwischen einer verheirateten Frau und ihrem jungen Liebhaber. Die beiden einte etwas anderes, etwas stärkeres. Es war ein gemeinsamer Hass auf eine Person, der sie beide schmerzliche Niederlagen zu verdanken hatten. Diese Demütigung brannte in ihren Kehlen und trocknete sie aus. Sie dürstete nach Rache. Und Rache war ein starkes Band.
Die Frau war nach dem ihre Pläne gescheitert waren, zu einer Studienreise aufgebrochen. Zumindest war dies der offizielle Grund für ihre längere Reise. Sie musste raus aus ihrem Dorf, raus aus der Spießigkeit und weg von all den Kleingeistern, die sie stets daran gehindert hatten, ihrer wahren Bestimmung zu folgen. Sie war zu Größerem berufen, davon war sie schon immer überzeugt. Aber umgeben von Dummköpfen ohne jeden Ehrgeiz war es einfach nicht möglich, ihre Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Und so war sie ihr ganzes Leben gezwungen gewesen, eine Maske zu tragen.
Doch jetzt konnte sie sich von dieser Maske und allen Zwängen befreien. Seit sie denken kann, bestehen zwischen den beiden Dörfern Handelsbeziehungen und regelmäßig besuchen Austauschschüler das andere Dorf. Die Frau hatte dieses andere Dorf immer für genauso rückständig, bieder und langweilig gehalten wie ihr eigenes. Deswegen musste sie erst die kleine Gruppe von Austauschschülern sicher hier herbringen und konnte sich erst dann ihrem eigentlichen Ziel zuwenden. Ein Land, indem das Recht des Stärkeren zählte. Wer stark oder klug war, konnte es dort zu etwas bringen, sich Macht und Ansehen erarbeiten.
Zu ihrer Freude und Überraschung hatte sie dann aber festgestellt, dass dieses Dorf hier keineswegs so langweilig, rückständig und bieder war, wie sie es erwartet hatte. Hier gab es eine Oberschicht, die Reichtum und Macht hatte, die sich mit hinterhältigen Intrigen und Machtspielchen die Zeit vertrieb und deren Mitglieder sich auch mal wehrlose Opfer aus den Bewohnern aussuchten, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Sie hatte gezittert vor Erregung und Sehnsucht, ihre lange unterdrücktes Potential endlich zu entfalten. Auf einem Fest hatte dieser gutaussehende aber viel zu junge Graf sie höflich angesprochen und elegant und charmant um einen Tanz gebeten. Beim tanzen legte er jede Höflichkeit und Zurückhaltung ab. Er flüsterte ihr unverblümt ins Ohr, was er heute Nacht mit ihr vor hatte und zog sie so fest an sich, dass sie seine Erregung deutlich spüren konnte. Er war ihre Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Mächtigen in diesem Dorf, also lies sie ihn gewähren. Das er im Schlafzimmer das hielt, was er ihr beim tanzen versprochen hatte, war die nächste positive Überraschung. Aber das würde er nie erfahren. Wenn sie hier genug gespielt hatte, würde sie sich endlich auf die Reise machen und ihren großen Traum verwirklichen. Doch vorher musste sie noch Rache nehmen an den Menschen, die ihr in dieser Welt das Leben zur Hölle gemacht hatten. Ihr Plan war genial und hinterhältig. Sie ging in nochmal im Kopf durch und die Vorfreude erregte sie von neuem.
Die Frau schlug dem Mann in den Bauch. Der Schlag verfehlte seine Wirkung nicht. Der Mann und die Frau fochten ihren nächsten Kampf aus.
Der Mann war der Graf von Cerveteri. Die Frau war Leles Mutter.