Topa stellte seinen Schlitten ab und versorgte die Rentiere, die ihn immer noch keines Blickes würdigten. Dann ging er in die Hütte zu Tante Unn, um Bescheid zu sagen, dass er zu Hause ist. Tante Unn war mit Backen beschäftigt und fragte nicht weiter nach, wo er gewesen war. Topa war´s recht, so konnte er sich noch eine Weile hinlegen. Die letzte Nacht und der Alkohol steckten ihm noch in den Knochen.
Als Topa wieder aufwachte, war es draußen schon dunkel geworden. Er hatte den ganzen Tag geschlafen, und jetzt war er hungrig.
Topa stand auf, zog sich seine Arbeitshose an. Vielleicht hatte Tante Unn noch etwas von Abendessen übrig. Aber er hatte Glück. Als er die Hütte betrat saß die Familie gerade beim Essen. Topa setzte sich mit an den Tisch. Nach dem Essen brachte Tante Unn die Kinder ins Bett und Topa ging in die Küche, um ein paar Äpfel mit Butter und Puderzucker in einer Pfanne zu braten. Er wollte sich damit bei den Rentieren entschuldigen. Tante Unn kam dazu und Topa erzählte ihr von gestern Abend. Besonders die Stelle mit dem Frühstück und das gemeinsame Backen mit Paola gefiel Tante Unn sehr. Topa schüttete die gebratenen Äpfel in eine Schüssel und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich hab bei meinen Rentieren noch was gut zu machen.
Bei Lele verlief das Abendessen nicht so harmonisch. Ihre Mutter war nicht zu bremsen. Auch nicht von Oma Lerke. Ständig hatte sie etwas an Lele oder Topa oder an beiden gleichzeitig auszusetzen. Den Argumenten ihrer Tochter schenkte sie keinerlei Beachtung. Wie ein Gewitter, so zog in Lele der Zorn und die Wut auf. Nach dem Ihre Mutter zum gefühlten 50. mal predigte, sie solle ja keinen Nikolaus und schon gar nicht diesen Topa als Schwiegersohn nach Hause bringen, konnte Lele sich nicht mehr beherrschen. Mit Tränen in den Augen sprang sie auf und schrie Ihre Mutter trotzig an: „Und ich werde ihn doch heiraten, ob´s dir passt oder nicht!“
Dann rannte sie in den Flur, schnappte sich ihre Jacke und stürmte ins Freie. Sie musste einfach raus. Draußen lief sie einfach planlos durch das Weihnachtsdorf. Nach einer Weile hatte sie sich wieder so weit im Griff, dass sie sich umschaute, wo sie eigentlich war. Sie war fast bis ans andere Ende des Dorfes gelaufen und war kurz vor der großen Wiese angekommen, auf der sie mit Topa Schlitten gefahren war. Lele war etwas außer Atem, so schnell war sie gelaufen. Sie zog Ihre Handschuhe aus, nahm etwas frischen Schnee in die Hand und kühlte sich anschließend das Gesicht. Da war wieder dieser Schmerz, den sie immer spürte, wenn ihre Mutter alles ablehnte und schlecht machte, was Lele wichtig war. Das Ihre Mutter jetzt auch noch Topa angriff, das war einfach zu viel. Topa konnte ja wohl gar nichts dafür, und außerdem lief da gar nichts zwischen Ihnen. Sie mochte ihn irgendwie, aber sie war keinesfalls schon wieder bereit für eine neue Beziehung. Und Topa war nur ein Freund. Nur ein Freund. Das war genau das, was sie jetzt brauchte. Einen Freund, mit dem sie reden konnte und der sie verstehen würde. Topa wohnte nicht weit von hier. „Gut, dass ich zufällig in seine Richtung gelaufen bin“, sagte Lele zu sich selbst. Sie zog ihre Handschuhe wieder an und machte sich auf den Weg.
Topa hatte einige der Äpfel an die Rentiere verteilt, als kleine Wiedergutmachung. Über Nacht hatte es geschneit und der Schlitten war noch voller Schnee. Topa machte sich daran, den Schlitten vom Schnee zu befreien. Dabei ging ihm ein Gedanke nicht aus dem Kopf. War er wirklich verliebt in Lele? Die Antwort war einfach und nüchtern: Ja. Er war verliebt. In Lele. So einfach war das. Er hatte es nur die ganze Zeit nicht zugeben wollen. Sich selbst gegenüber nicht, und anderen gegenüber erst recht nicht. Was, wenn Lele ihn gar nicht mochte und nicht die gleichen Gefühle hatte? Dann würde er wie ein Trottel vor dem ganzen Dorf dastehen und die Leute würde sich über ihn lustig machen. Aber wenn er Lele nicht die Wahrheit sagte, dann wäre er ein noch viel größerer Trottel.
Er war schon fast fertig, als sich das große Tor öffnete und er hörte, wie jemand den Stall betrat. Topa blickte hoch. Da stand Lele. Erst wollte er seinen Augen nicht trauen, aber als sie ihn mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßte, war er sich sicher, dass er nicht träumte.
Topa sprang vom Schlitten und ging ein paar Schritte auf sie zu. „Hallo“, sagte er. „Ich mach grad den Schlitten sauber.“ ‚Du Idiot, das sieht sie doch selber‘ dachte er im nächsten Moment.
„Das kommt davon, wenn man den Schlitten die ganze Nacht vor dem Wirtshaus stehen lässt“, sagte Lele mit einer gewissen Schadenfreude in der Stimme. Ihre etwas freche und forsche Art gefiel Topa.
„Dann weißt du es also schon? Das ging ja mal wieder rasend schnell durchs Dorf.“
„Ja“, antwortete Lele. „Und es gibt auch schon die ersten Gerüchte dazu.“ Sie gab ihm eine Kurzfassung von dem, was ihre Mutter ihr erzählt hatte.
„Und was denkst du?“ fragte Topa. Er war selbst überrascht von dieser Frage.
„Ich denke, dass da wieder mal der übliche Dorfklatsch rum erzählt wird. Die Leute zerreißen sich über alles mögliche das Maul.“
„Einiges ist war, anderes nicht“, sagte Topa. Dann erzählte er ihr, wie der Abend wirklich verlaufen war.
„Ich bin froh, dass du kein Frauenheld bist“, sagte Lele und lächelte ihn an.
„Bin ich auch nicht. Nur die Rentiere sind beleidigt, weil ich sie die ganze Nacht hab draußen stehen lassen.“
Wieso, fragte sich Lele selbest, war es ihm so wichtig, nicht als Frauenheld dazustehen?
„Deswegen die gebratenen Äpfel?“, fragte Lele. „Oder hast du heute noch Besuch erwartet?“
„Paola wollte noch vorbei kommen“, antwortete Topa frech. „Aber wenn du schon mal da bist, geb ich dir gerne ein paar Äpfel ab.“ Diesmal war es Lele, die an der forschen und etwas frechen Art Gefallen fand. Sie ging auf das Spiel ein.
„Hat Paola auch Tee dazu bestellt?“ Jetzt war die Reihe an Topa, das Spiel fort zu setzen.
„Den wollt ich grad machen, als du gekommen bist. Wenn du willst, kannst du mir dabei helfen. Ich geb dir auch gern was davon ab.“
Beide mussten gleichzeitig das Lachen anfangen. Und beide spürten ein fast blindes Verständnis, als ob sie sich schon ewig kannten.
Sie gingen in Topas kleine Wohnung, um Tee zu machen. Unten war die Küche, die Ess- und die Wohnstube, oben war die Schlafstube und das Bad. Als sie die Wohnstube betraten, traute Lele ihren Augen kaum. Die Wände waren fast durchgehend mit Regalen voll. Die Regale selbst brachen fast unter der Last der Bücher zusammen. Überall standen oder lagen Bücher. An den freien Stellen stapelten sich die Bücher einfach vom Boden die Wand hinauf.
„Hast du die alle gelesen?“, fragte Lele erstaunt.
„Ja, fast alle. Einige sogar mehrmals.“
„Ich hatte ja keine Ahnung. Damals im Bücherkreis hab ich erst gedacht, du gehst wie die anderen Jungs nur wegen der Mädchen dahin. Aber dann hab ich gemerkt, dass du dich wirklich für Bücher und Geschichten interessierst. Aber das hier hatte ich nicht erwartet.“
Topa machte Feuer im Kamin und sie setzten sich auf das einzige Möbelstück, das frei von Büchern war – das Sofa.
„Das gleiche Gefühl hatte ich auch von euch Mädchen. Ich hatte auch den Eindruck, dass du mehr von Büchern verstehst als die anderen.“ Topa wurde etwas nervös, vom Bücherkreis bis zu dem berühmten Brief war es nicht mehr weit.
„Ich muss dir etwas gestehen“, fuhr Lele fort. „Ich war vor ein paar Tagen hier, um dir die Decke wieder zu bringen. Dabei hab ich im Stall ein Buch auf dem Boden gefunden. Ich hab´s aufgehoben und mitgenommen. Ich hätte dich fragen sollen, aber du warst nicht da. Ich hab´s fast in einem Stück durchgelesen, weil es so spannend und fesselnd war.“
Topa konnte sich nicht vorstellen, wie ein Buch von ihm in den Stall kommen sollte.
„Was war das für ein Buch?“, fragte er vorsichtig.
Lele gab ihm eine kurze Zusammenfassung. Dann schwieg Topa eine Weile.
„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Lele erneut. „Ich weiß auch nicht, warum ich das Buch eingesteckt habe.“
Topa schwieg weiter. Aber es war kein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen.
„Das Buch hab ich selbst geschrieben.“
Lele blickte ihn erstaunt an. „Das ist von dir? Ich hatte ja keine Ahnung, dass du Bücher schreibst. Ich bin beeindruckt.“
Jetzt war Topa nicht mehr nervös. Er hatte das Gefühl, dass er Lele vertrauen konnte.
„Ich hab noch mehr geschrieben. Schon damals im Bücherkreis habe ich kleine Geschichten und Gedichte selbst geschrieben. Ich wusste nur nicht, wie die anderen darauf reagieren. Deswegen hab ich nichts gesagt.“
„Ich find deine Figuren in dem Buch sehr lebendig. Besonders die Tochter des Grafen war mir sehr sympathisch.“
Topa überlegte eine Weile. Dann sagte er mit etwas zittriger Stimme: „Sie ist wie du.“
Lele sah ihn nur fragend an. „Ich hab dabei an dich gedacht, als ich die Figur erfunden habe. Du wart das Vorbild dazu.“
Es kam nicht oft vor, das Lele wirklich sprachlos war. Aber jetzt war sie es.
Wieder schwiegen beide eine Weile. Dann erzählte Topa, wie er die Tochter des Grafen erfunden hatte. Wie sie lange nur in seiner Fantasie existierte, bis er sich schließlich dazu entschieden hatte, sie so werden zu lassen, wie er Lele sah.
„Aber so bin ich doch gar nicht“, erwiderte Lele.
„In meinen Augen schon,“ sagte Topa.
„Aber wieso hast du denn nie etwas gesagt“, fragte Lele weiter.
„Ich hab mich nicht getraut“, gab Topa kleinlaut zu. „Ich hab dir im Bücherkreis mal einen Brief geschrieben.“ Topa hatte alle seine Hemmungen und Bedenken abgelegt. Das war die Gelegenheit, auf die er seit dem Bücherkreis gewartet hatte. Er war sich sicher, dass Lele ihn nicht auslachen würde.
„Wirklich? Ich kann mich an keinen Brief von dir erinnern.“
Topa erzählte von dem Brief, wie er ihn in ihre Tasche stecken wollte und wie dann plötzlich ein anderes Mädchen den Brief vorgelesen hatte. Alle waren damals der Meinung, der Brief wäre für das andere Mädchen.
„Aber er war für dich“, schloss Topa.
Lele versuchte sich zu erinnern. „Das war am letzten Tag im Bücherkreis“, sagte sie schließlich. „Du bist dann plötzlich raus gerannt. Jetzt weiß ich auch warum.“
„Ich frag mich seitdem, wie dieses andere Mädchen an den Brief gekommen ist.“ Topa war froh, das es endlich raus war.
„Wir Mädchen haben uns damals einen Spaß gemacht, unsere Schultaschen zu vertauschen. Anders kann ich mir das nicht erklären. Es tut mir leid.“
„Ich bin froh, dass wir das klären konnten. Diese Frage beschäftigt mich schon lange“, sagte Topa erleichtert.
In Leles Kopf herrschte ein wildes Durcheinander. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Vielleicht war Topa doch mehr als ein Freund? Sie musste allein sein, um sich über ihre Gefühle im Klaren zu werden. Aber sie wollte auch noch bei Topa bleiben. Diese Vertrautheit zwischen ihnen tat ihr gut und da waren noch andere Gefühle, die sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Was hatte das zu bedeuten, dass sie ausgerechnet jetzt und hier solche Gefühle hatte?
„In dem Buch liegt ein Zettel“, sagte Topa. „Das ist der Entwurf zu dem Brief von damals.“
„Den Zettel hab ich gefunden. Aber ich hatte noch keine Zeit, ihn zu lesen.“
Sie redeten noch eine ganze Weile über den Bücherkreis und darüber, wie ihr Leben seit dem verlaufen war. Als sie im Jetzt angekommen waren, schwiegen sie wieder eine Weile. Keiner wollte über da sprechen, was zwischen ihnen war. Beide hatten das Gefühl, dass der andere noch etwas Zeit brauchte, um
drüber zu reden.
„Ich muss jetzt gehen“, sagte Lele.
„Ich bring dich noch nach Hause.“ So konnten sie noch etwas Zeit miteinander verbringen.
Auf dem Weg zu Oma Lerkes Hütte hakte sich Lele bei Topa unter. Sie redeten nicht viel, jeder genoß die Nähe des anderen. Als sie kurz vor der Hütte waren, sagte Topa: „Es hat gut getan, endlich mit dir darüber zu reden.“
Lele gab ihm einen Kuß auf die Wange und sagte: „Ich finde es auch sehr schön, mit dir zureden. Und mir gefällt, wie du mich siehst.“
„Wie ich dich sehe, oder wie ich dich ansehe“, fragte Topa.
„Beides“, flüsterte Lele und schmiegte sich an ihn. Topa legte seine Arme um sie und hielt sie einfach fest.
„Sehen wir uns morgen wieder?“
„Ja“, sagte Lele. „Komm doch morgen einfach vorbei.“
„Ok, dann bis morgen“.
„Bis morgen.“
Sie verabschiedeten sich noch drei oder vier mal; keiner wollte die Umarmung lösen.
„Damit du gut schläfst“, sagte Lele, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss. Dann löste sie sich von ihm und ging ins Haus. Topa stand noch eine Weile vor der Hütte. Er konnte ihren Körper noch spüren und ihr Haar riechen. Der Kuss schmeckte noch lange auf seinen Lippen. Dann ging auch er nach Hause.
Am nächsten Tag hielt Topa mit dem Schlitten vor Leles Hütte. Eigentlich hätte er gar nicht an die Tür klopfen müssen, sein Herz schlug so sehr, dass er sich nur hätte gegen die Tür lehnen müssen. Aber es war Oma Lerke, die die Tür öffnete.
„Hallo Topa. Ich bin Oma Lerke. Komm doch rein, Lele ist gleich fertig.“
Oma Lerke führte ihn in die Wohnstube. „Möchtest du einen Tee, solange du wartest“, fragte sie ihn?
„Nur, wenn es keine Umstände macht“, antwortete Topa höflich.
Er trank mit Oma Lerke eine Tasse Tee und sie unterhielten sich über die viele Arbeit zu Weihnachten.
Lele betrat die Wohnstube und ging auf Topa zu. Sie legte ihren Hand auf seinen Arm und sagt: „Hallo Topa. Wie ich sehe, habe ich heute Konkurrenz um deine Gesellschaft“.
Topa konnte sie nur ansehen, sie war so schön, dass er nichts sagen konnte.
Oma Lerke zog sich dezent zurück und lies die beiden alleine.
„Hat´s dir die Sprache verschlagen“, fragte Lele. Topa verstand den liebevollen Hinweis.
„Ich bin noch nicht fertig, deine Schönheit zu bewundern“, sagte er. „Ich habe nicht genug Augen dafür im Kopf.“
So ein Kompliment hatte sie noch nie bekommen. Und es hatten in der Tat genügend Männer probiert, ihr einmalige Komplimente zu machen. „Danke“, sagte Lele und strahlte ihn an. „Wollen wir uns setzen?“
„Ich hab Tee, Lebkuchen und ein paar gebratene Äpfel draußen im Schlitten. Ich dachte wir machen vielleicht einen romantischen Ausflug mit dem Schlitten.“
Lele gefiel die Idee. Sie zogen ihre Jacken an, stiegen auf den Schlitten und fuhren los.Sie saßen wieder beide unter einem Fell, Lele hielt sich an Topas Arm fest und legte ihren Kopf auf seine Schulter.
Den Brief hatte sie gestern Abend noch mehrere male gelesen. Und jedes mal war sie ergriffen von dem was sie da las. Topa war verliebt in sie. Und er fand Worte um seine Liebe auszudrücken, wie sie sie noch nicht gehört oder gelesen hatte. Sie danach noch lange wach im Bett gelegen und hatte über Topa nachgedacht und versucht, ihre Gefühle zu verstehen.
Irgendwie fühlte es sich auch für Lele an wie Liebe. Aber nicht die Liebe, die sie bis jetzt kannte. Da war kein großer Knall und sie war verliebt; keine Liebe auf den ersten Blick. Es fühlte sich anders an. Wie ein Kamin einen Raum langsam mit Wärme füllt, so wuchs auch eine Wärme in Lele. Und es fühlte sich kräftiger an, tiefer und stärker. Da war auch Zuversicht, Geborgenheit und Verständnis, die sie bei Topa finden würde. Alles was sie sich immer gewünscht hatte war da, nur anders als sie es erwartet hatte. Diese Art Liebe war anders. Sie spürte, dass es eine Weile dauern würden, bis diese Liebe ihren ganzen Zauber entfalten würde. Dafür würde dieser Zauber eine Macht und eine Fülle haben, von der sie ihr Leben lang zehren konnte. Aber noch war es ein sehr zartes Pflänzchen.
„Weißt du“, sagte sie, „es hat mir sehr gefallen, wie sehr der Arbeiterjunge in der Geschichte um die Tochter des Grafen gekämpft hat. Ich glaube, so etwas wünscht sich jede Frau.“
„Ich weiß nicht“, sagte Topa.
„Was weißt du nicht?“
„Wie man um eine Frau kämpft“, antwortete Topa. „Ich finde das Wort hier irgendwie falsch.“
„Was würdest du denn machen?“
Topa überlegte eine Weile. Dann sagte er: „Ich würde für eine Frau kämpfen; für meine Frau.“
„Und für was würdest du kämpfen“, wollte Lele wissen?
„Ich würde dafür kämpfen, das sie ein angenehmes, erfülltes und sinnerfülltes Leben hat.“
Lele wunderte sich nicht über diese Antwort. Sie mochte die Antwort sogar irgendwie, auch wenn sie sie nicht ganz verstand.
„Du würdest nicht dafür kämpfen, dass sie glücklich ist?“
„Für mich besteht Glück aus diesen drei Bestandteilen“, erklärte ihr Topa.
„Das musst du mir bitte genauer erklären.“
„Ich hab noch niemanden gefunden, der mit erklären konnte, was genau ‚Das Glück‘ ist. Aber ich habe bei den Menschen viele gesehen, die daran gescheitert sind. Ich glaube, dass Glück sich aus diesen drei Teilen zusammen setzt. Damit mein Leben angenehm ist, muss ich es genießen können. Dafür brauche ich nicht viel. Meine Familie, gutes Essen, wenige, aber gute, Freunde – am besten alles gleichzeitig – und ein bisschen Kunst und Kultur. Ein erfülltes Leben heißt, dass ich mich für andere oder die Umwelt engagiere und so meine persönlichen Sehnsüchte erfülle. Und sinnerfüllt habe ich mir so erklärt, dass ich bestimmte Dinge erreiche, die für mich erstrebenswert Dinge sind Das hört sich kompliziert an. Wenn ich aber Dinge tue, wie ich tun will, die mir Spaß machen und meinem Leben einen Sinn geben, dann ist mein Leben sinnerfüllt Und ich kann selbst bestimmen, was mir wichtig ist, und was nicht. Die Menschen können das alles auch, aber sie haben keine Zeit dafür. Sie lassen ihr Leben von der Zeit bestimmen, packen es mit allen möglichen Dingen voll, die sie nicht glücklich machen und hetzten von einer Sache zur anderen. Wenn sie sich mehr Zeit nehmen würden für Dinge, die ihnen wirklich wichtig sind, dann könnten sie diese Dinge auch genießen und wären zumindest zufrieden. Wenn ich nicht zufrieden bin, dann kann ich auch nicht glücklich werden“
Lele glaubte zu verstehen, was Topa meinte. Zumindest klang das wesentlich besser, als ‚Das Glück‘ finden.
Mittlerweile waren sie wieder auf dem kleinen Hügel angekommen, auf dem sie schon bei ihrer ersten Schlittenfahrt waren. Wieder glitzerte der frische Schnee im Mondlicht. Erst jetzt viel Lele auf, wie romantisch die Szene war. Sie dachte eine Weile über das nach, was Topa über Glück gesagt hatte. Sie wusste nicht, ob es die perfekte Antwort auf ihre Frage nach dem Glück war. Aber es war die beste Antwort, die sie je gehört hatte.
„Und wie denkst du über Liebe?“, wollte Lele wissen.
„Ich denke, dass Liebe etwas ist, das wachsen muss. Und wie alles wertvolle muss man sie ein Leben lang pflegen. Dazu gibt es so etwas wie eine Sprache der Liebe. Wenn zwei Menschen die selbe Liebessprache sprechen oder die Sprache des anderen verstehen, dann wird die Liebe eine Macht und eine Fülle haben, von der man ein Leben lang zehren kann.“
Das waren genau die Worte, mit denen Lele den Zauber beschrieben hatte. Auch wenn es fast etwas beängstigend war, wie sehr sie beide übereinstimmten, war es doch das schönste und ergreifendste, was Lele je gehört hatte. Sie spürte, dass ihr gemeinsames Pflänzchen wieder ein kleines Stück gewachsen war.
Ohne, dass sie die nächste Frage gestellt hatte sagte Topa: „Das alles fühle ich, wenn ich an dich denke. Ich möchte das Glück und die Liebe mit dir ein Leben lang teilen.“ Dabei hatte er ihren Kopf in seine Hände genommen und ihr tief und zärtlich in die Augen geschaut.
Sie beugte sich zu ihm herüber und küsste ihn wieder. Diesmal war es ein langer und liebevoller Kuss.
Sie saßen noch eine ganze Weile schweigend im Schlitten. Wenn sie mit einander redeten, dann nur in ihrer gemeinsamen Liebessprache – dem Küssen. Und Topa konnte diese Sprache verdammt gut.
Irgendwann fragte Lele: „Bin ich für dich wirklich so schön, wie die du die Tochter des Grafen in dem Buch beschreibst?“
„Ja“, sagte Topa. „So schön, dass es weh tut.“
Wieder war das Pflänzchen ein kleines Stück kräftiger geworden.
Die Zukunft, darin war sich Lele jetzt ganz sicher, würde für sie beide gemeinsam viel Gutes bringen; vielleicht sogar Glück. Aber Glück alleine, war jetzt nicht mehr so wichtig. Sie hatten beide etwas viel wertvolleres gefunden.
Und so saßen sie die ganze Nacht unterm Sternenhimmel, gemeinsam in ein Rentierfell gekuschelt und redeten meistens in ihrer Liebessprache. Sie mussten sich ihre Liebe nicht mit „normalen“ Worten gestehen. Beide wussten, dass sie für einander bestimmt waren. Und beide wussten, dass der Zauber zwischen ihnen sehr mächtig und außergewöhnlich werden würde.
Aber davon erzähl ich Euch ein anderes mal.
p.s.: Und hinten auf dem Schlitten saß, unsichtbar durch seine Tarnkappe, Tomte Tumetott und war zufrieden mit seinem Werk. Es tat ihm zwar etwas leid, dass er Topa auf die Hand schlagen musste, damit er den Tee fallen lies. Und er musste Topa gestehen, dass er es war, der das Buch aus seiner Wohnung in den Stall gelegt hatte. Das er Lele gegen das Bein getreten hatte, tat ihm fast am meisten leid. Aber manchmal geht auch die Liebe seltsame Wege und braucht einen kleinen Schubs in die richtige Richtung.
p.p.s.: Hier geht’s zu den Weihnachtsgrüßen www.philsgeschichtenblog.de/gruesse-aus-dem-weihnachtsdorf/