Archiv für den Monat: Dezember 2017

24/2017 Aus vier werden viele

Heute ist Weihnachten, dachte Vendela. Und unsere Freunde sind immer noch nicht zurück. Boje hatte sein Versprechen gehalten, und verbrachte mehr Zeit mit ihr und den Kindern. Sie hatten genug Vorräte, um sich und das Vieh auf Livdröm über den Winter zu bringen. Auch wenn sie sich würden einschränken müssen, gab es noch etwas Hoffnung, dass sie einen Teil von Livdröm würden behalten können. Doch ohne ihre Freunde war es nicht das selbe. Boje hatte sich nach dem Frühstück in seine Werkstatt zurückgezogen. Er verbrachte die Tage damit, notwendige Reparaturen durchzuführen und erledigte die Stallarbeit. Die Zwillinge Elin und Keld spielten auf Fußboden vor dem Kamin und Vendela stopfte und nähte. Neue Kleidung konnten sie sich nicht leisten.

Vendela wurde aus ihren Gedanken gerissen, als draußen jemand laut zu rufen begann. Bevor sie erkennen konnte wer das was rief, flog die Tür auf, Boje kam hereingestürzt, packte sie am Handgelenk und zog sie mit hinaus.

„Sie sind da! Sie sind da!“, rief er die ganze Zeit. Draußen angekommen fuchtelte er mit den Armen Richtung Waldrand.

„Sie kommen! Vendela sie kommen!“

Vom Waldrand her näherte sich ein Schlitten.

„Jetzt beruhige dich. Es ist nur ein Schlitten und er ist noch zu weit weg.“

„Doch, sie sind es. Jetzt, da! Schau hin!“

Der Schlitten machte eine scharfe Kurve und wirbelte dabei jede Menge Schnee auf. Dann verschwand der Schlitten hinter der Schneewand und tauchte plötzlich aus ihr auf.

„Da. Siehst du? So fährt nur Lele!“

Sie waren es wirklich. Aber was war mit dem zweiten Schlitten? Freude und Angst brachten sie zum weinen, während Boje dem Schlitten entgegen rannte. Ihre Knie gaben nach, als sie die Gesichter ihrer Freunde erkennen konnte.

Erst als Vendela zu frieren anfing und sie sich mehrfach umarmt hatten, gingen sie zurück in die Wohnstube. Vor lauter Freude und Aufregung redeten alle wild durcheinander. Doch irgendwie schafften sie es, die Aufgaben für eine Willkommensfeier an Weihnachten zu verteilen. Lele wollte ihren Vater besuchen und Oma Lerke abholen. Topa fuhr zu Tante Unn in die Backstube und anschließend aufs Postamt, um Santa Claus und Onkel Pelle zu treffen. Fynn ging jagen, Boje plünderte den Weinkeller und Vendela und Paola die Vorratskammer.

Am späten Nachmittag waren alle zurück auf Livdröm. Lele hatte Oma Lerke dabei und Topa brachte Santa Claus, seine Frau Kine sowie Tante Unn, Onkel Pelle und die Kinder Orge, Ova und Oda mit. Natürlich kam niemand mit leeren Händen. Santa Claus spendierte ein Faß Bier, Kine eine Flasche selbst gebrannten Schnaps und Tante Unn brachte Brot, Kuchen und Gebäck aus der Backstube mit. Kurzer Hand wurde ein extra Tisch nur für Speisen und Getränke geholt.

Nach dem Essen erzählten die vier Abenteurer von ihrer Reise. Die Geschichte zog sich bis weit nach Mitternacht hin, doch niemand wollte nach Hause.

Lele stand in der Küchentür und blickte in eine Wohnstube voller glücklicher Gesichter. Ihr Blick fiel auf Topa. Er lag vor dem Kamin, um ihn herum schliefen die Kinder. Sie hatten Topa den ganzen Abend in Beschlag genommen. Und er hatte mit ihnen herumgealbert, war Alleinunterhalter, Clown, Kletterbaum, Kapitän und Geschichtenerzähler für sie.

„Siehst du, wie glücklich und zufrieden die Kinder sind?“

Es war Tomte Tummetott, der die Frage gestellt hatte.

„Ja, den ganzen Abend waren sie das.“

„Warum?“, fragte Tomte weiter.

Lele zuckte mit den Schultern.

Tomte Tummetott wäre nicht Tomte Tummetott, wenn er die Frage nicht mit einer Frage beantworten würde.

„Sollten wir nicht alle mehr wie die Kinder sein? Keine Fragen an das Leben stellen sondern einfach das tun was uns gerade in den Sinn kommt und mit dem was der Augenblick uns bietet zufrieden sein?“

Lele dachte eine Weile darüber nach. Als sie antworten wollte, war Tomte so lautlos verschwunden wie er aufgetaucht war.

„Eine Frage habt ihr noch nicht beantwortet“, sagte Santa Claus. „Wo hat Paola den toten Hasen her?“

Alle blickten Paola an.

„Gefunden. Ich hatte einfach Glück.“

 

——-

Und damit endet die Geschichte für dieses Jahr. Ich hoffe, es hat euch Spaß gemacht. Ich wünsche euch, euren Familien und Freunden frohe und vor allem langsame und ruhige Weihnachten und würde mich freuen, wenn ihr alle nächstes Jahr wieder mit dabei seit.

Liebe Grüße Philipp

23/2017 Zurück zum Anfang

Nach zwei Tagen hatten sie genügend Vorräte für die Heimreise zusammen. Da nicht nur die Nächte sondern auch die Tage kälter wurden, kam zu dem Proviant noch ein paar Decken und Rentierfelle und warme Kleidung hinzu. Mit nur einem Schlitten wurde es etwas eng, deswegen ließen sie einen Teil der Ausrüstung bei Opa Kester zurück. Beim Abschied umarmte Jytte Topa. Opa Kester und Lele verfolgten die Szene mit Erstaunen. Der eine aus Verwunderung, die andere eher misstrauisch.

Fynn erholte sich während der Reise jeden Tag ein Stück mehr. Die Wunde verheilte gut und bald konnte er bei alltäglichen Dingen wieder mit helfen. Die Gespräche während der Fahrt und Abends am Lagerfeuer drehten meist um die Erlebnisse während ihres Abenteuers.

„Mich würde interessieren, wie seine Flucht weitergegangen ist. Wie ist Fynn schließlich in unser Dorf gekommen?“, fragte Lele eines Abends, als Topa und Fynn sie nicht hören konnte.

Und so kam es, dass Fynn eines Abends am Lagerfeuer die Geschichte seiner Flucht in ein neues Leben weiter erzählte.

„Nach dem ich die erste Nacht überstanden hatte, hielt ich mich noch drei weitere Tage versteckt. Ich folgte dem Flusslauf weiter, machte aber einen Bogen um jedes Dorf. Nach fünf Tagen kam ich an eine einsame Mühle. Der Müller und seine Familie nahmen mich auf. Als Soldaten hatten wir gelernt, feste Lager und Behausungen zu bauen und unser Kriegsgerät zu reparieren. Die Mühle hatte ihre besten Zeiten hinter sich. Ich gab mich als Zimmermannsgeselle auf Wanderschaft aus. Der Müller stellte weiter keine Fragen. Er war froh, dass sich jemand um die Schäden an seiner Mühle kümmerte. Im Gegenzug erhielt ich neue Kleidung, Essen und Unterkunft.“

„Und diese Tarnung hast du seit dem nicht mehr abgelegt?“, fragte Lele.

„Naja, bei dem Müller hatte das ganz gut funktioniert. Im nächsten Dorf glaubte man mir die Geschichte ebenso. Schließlich hatte ich ja mein eigenes Werkzeug.“

„Wie lange hast du so gelebt?“, wollte Paola wissen.

„Zwei Sommer und einen Winter, bis ich schließlich am Meer angekommen bin.“

Wieder war es Lele, die die nächste Frage stellte:
„Vermisst du deine Heimat?“

„Ich hatte nie eine Heimat.“

„Und deine Familie? Deine Eltern und Geschwister?“

„Auch die hatte ich nie.“ Nach einer kleinen Pause fuhr Fynn fort: „Seit ich mich erinnern kann, lebte ich am Hof eines mächtigen Kriegerfürsten. Meine Kindheit bestand darin, mich zusammen mit anderen Jungs ohne Familie auf das Leben eines Soldaten vorzubereiten. Die Mägde und Knechte des Fürsten kümmerten sich um uns, wenn wir gerade mal nicht gedrillt wurden. Sie waren so etwas wie meine Familie.“

„Aber wie bist du dorthin gekommen?“

„Alle zwei Sommer kamen neue Kinder an den Hof, manchmal noch Säuglinge, aber nie Älter als einen oder höchstens zwei Sommer. Das Gesinde erzählte sich, die Kinder wären geraubt worden. Andere behaupteten, sie seinen ein Pfand oder Tribut, dass der Fürst von anderen Fürsten und Adligen einforderte.“

„Lasst uns schlafen gehen“, sagte Paola. „Wenn wir uns beeilen, können wir in drei Tagen zuhause sein.“

In zwei Tagen war Weihnachten.

„Wenn wir nur kurze Pausen machen und auch Nachts nur wenig schlafen, dann schaffen wir es noch bis Weihnachten“, sagte Topa.

22/2017 Die Welt der Kinder

Am nächsten Morgen war die Stimmung gut wie schon lange nicht mehr. Alle waren ausgeschlafen und die Sorgen der letzten Tage vergessen. Sachen wurden gepackt, der Arzt versorgte Fynn und die kleine Nilla flitze von einem zum anderen und musste alles sehen und beobachten was geschah.

Gemeinsam beschlossen sie, Opa Kester und Jytte in ihr Dorf zu begleiten, dort die Vorräte aufzufüllen und dann nach Hause zu fahren. Die Reisegruppe verstand sich prächtig und auch Lele gelang es freundlich zu Jytte zu sein.

Insgesamt brauchten sie fünf Tage, bis sie die kleine Hütte erreichten, in der Opa Kester mit Jytte wohnte. Fynn hatte sich prima erholt. Die Wunde heilte fast ohne Zutun. Trotzdem wollte der Arzt bezahlt werden. Schließlich einigten sich er und Paola sich auf die Hälfte des üblichen Honorars. So blieb noch genug Geld um Vorräte zu kaufen und Opa Kester und Jytte in der Gaststube zum Essen einzuladen. Mehr Belohnung wollte der Alte nicht annehmen.

Nach dem Essen entschieden Topa und Lele sich zu einem Spaziergang.

„Woher hattest du eigentlich die Beule am Kopf?“, fragte Lele.

Topa erzählte von seiner ersten Begegnung mit Jytte.

„Ich bin ihr dankbar, dass sie uns geholfen hat. Trotzdem finde ich sie seltsam.“

„Was meinst du?“, wollte Topa wissen.

„Sie hat sich zum Beispiel weder bei dir noch bei mir entschuldigt.“

„Ich glaube, dass hat sie. Nur einfach auf ihre eigene Art.“

Lele blickt ihn fragend an.

„Opa Kester hat mir erzählt, dass sie sich schwer tut mit anderen umzugehen. Sie hat gesagt, dass sie ja nicht wusste, wer du bist und dass sie mich für einen der Fremden gehalten hat. Ich glaube, dass war so etwas wie eine Entschuldigung.“

„Sag ich doch. Seltsam.“

„Und du? Wie geht es dir bei der ganzen Sache?“

„Am Anfang fand ich es unheimlich aufregend und spannend“, sagte Lele. „Aber je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr merke ich, dass unser Leben in unserem beschaulichen Weihnachtsdorf doch sehr geborgen und sorgenfrei ist.“

„Das klingt doch gut.“

„Ja, das ist es auch, denke ich.“

Sie spazierten eine Weile durch das Dorf. Topa hielt heimlich Ausschau, ob er doch irgendwo seinen Schlitten entdecken würde.

„Möchtest du Kinder?“

„Was?!“, fragte Topa erstaunt.

„Ob du Kinder magst und selbst welche haben willst.“

„Wie kommst du jetzt darauf?“

„Die kleine Nilla ist ständig in deiner Nähe, will mit dir spielen, beim Essen sollst du neben ihr sitzen oder sie klettert dir auf den Schoß. Wenn wir bei Tante Unn und Onkel Pelle sind, ist es mit ihren Kindern das selbe. Scheinbar mögen Kinder dich einfach.“

„Kinder sind einfach. Sie wollen was sie gerade sehen und versuchen, es in ihre eigene kleine Welt zu integrieren. Dabei ist es ihnen völlig egal, was der eigentliche Zweck von dem ist, was sie gerade in der Hand haben. Da passen auch Cowboys und Indianer auf ein Piratenschiff. Ihre Fantasie kennt keine Grenzen. Und mir macht es Spaß, dann auch meiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Das ist inspirierend und ansteckend, musst du mal probieren. Erwachsene neigen dazu, die Fantasie der Kinder zu zerstören, in dem sie versuchen ihnen die Welt zu erklären und das Denken in Schubladen zu ordnen. Ich will einfach nur spielen und in die Welt der Kinder eintauchen. Vielleicht merken die Kleinen das und sehen mich als ein Kind, das spielen will.“

„Und, möchtest du Kinder?“

„Ich denke schon.“

Lele schmiegt sich eng an ihn. „Du wärst ein toller Vater.“

21/2017 Wieder vereint

Nachdem er Lele von ihrer Kleiderfessel befreit hatte, fand er sich plötzlich in der Rolle eines Angeklagten wieder.

„Das ist also die Hilfe, die du holen wolltest? Ein ungehobeltes Weibsbild?“, fauchte Lele.

„Das ist Jytte. Sie hat den Arzt geholt“, stammelte Topa.

„Und womit verdient sie sonst ihren Lebensunterhalt? Entführungen?“

„Sie ist Bäuerin.“

„Jetzt verteidigst du sie auch noch!?“

„Nein, Lele… ich…. ich versuche dir das doch nur zu erklären.“

„Sie soll bloß die Finger von mir lassen. Und du von ihr, verstanden!?“

Opa Kester kam Topa zu Hilfe.

„Ich bin Opa Kester. Du musst meine Enkelin entschuldigen. Wir sind überfallen worden und da ist sie wohl noch etwas misstrauisch.“

„Sie hat ja nicht mal gefragt wer ich bin und mich einfach von hinten überfallen.“

„Wie gesagt, entschuldige bitte, sie hat es sicher nicht böse gemeint. Aber ich denke, hier geht es um einen verletzten Freund von euch. Wo ist der Patient?“

„Wir lagern ein Stück den Fluss hinauf. Ihr habt einen Arzt gefunden?“

„Äh ja, das wäre dann wohl ich. Wobei ich den Begriff Medicus bevorzugen würde.“

Lele blickte auf ein kleines, rundes Männchen mit einem viel zu großen Hut.

„Und wer ist die Kleine da?“

„Nilla, meine Tochter“, antwortete Jytte. „Wir sollten los, der Arzt ist teuer.“

Der kleine Trupp folgte Lele zu ihrem Lager.

„Konnte ja nicht wissen, dass du dazu gehörst. Topa hat nichts von die erzählt“, sagte Jytte zu Lele.

Die packte Topa am Ärmel und zog ihn zwischen sich und Jytte.

Paola fiel ihrem Bruder um den Hals. „Du hast es geschafft.“

Der Arzt untersuchte Fynn. Dann stellte er ihm und Paola einige Fragen.

„Ich denke, ich kann hier nicht mehr viel tun. Die Wunde ist fast vollständig von totem Gewebe befreit. Ich werde sie nur noch etwas säubern. Es wird einige Zeit dauern, bis sie verheilt ist. In ein oder zwei Tagen sollte der Patient aber wieder bei Kräften sein. Das war sehr gute Arbeit von Ihnen, meine Damen.“

Der Arzt und Lele setzten die Behandlung fort und Topa stellte die Anwesenden einander vor.

Paola und Topa bereiteten das Abendessen vor, Opa Kester spielte mit Nilla und Jytte holte ihre Sachen, um einen gemeinsames Lager für die Nacht aufzuschlagen.

Die Anspannung der letzten Tage war verflogen. Während des Essens erzählte Topa, was ihm passierte war.

„Wir haben es Lele zu verdanken, dass Fynn überlebt hat“, begann Paola die Tage seit Topas Aufbruch zu schildern.

Der Arzt wiederholte sein Kompliment über die gute medizinische Versorgung. Auch wenn die Behandlung mit Maden ein gewisses Risiko berge, sei es doch dir richtige Entscheidung gewesen.

So saßen sie bis spät in den Abend am Feuer, aßen und tranken und erzählten reihum ihre Geschichten. Die kleine Nilla stolperte mit ihren kurzen Beinen zwischen Opa Kester und Topa hin und her und fütterte beide mit Nüssen und Brotresten. Schließlich setzte sie sich auf Topas Schoß und war kurz darauf eingeschlafen. Jytte nahm ihre Tochter und legte sich mit ihr schlafen.

„Es freut mich, euch kennengelernt zu haben“, sagte Opa Kester zu Topa bevor auch er sich zu Jytte und Nilla legte.

Lele und Paola räumten das Geschirr zusammen.

„Es tut mir leid, dass wir uns gestritten haben“, sagte Paola.

„Mir tut es auch leid. Ich glaube, ich war einfach überfordert mit der ganzen Situation.“

„Das war ich auch“, gestand ihr Paola.

„Ehrlich? Ich hatte den Eindruck, du warst dir völlig sicher, was du tust.“

„Nein, nur wir hatten keine andere Wahl, als so zu handeln.“

„Was, wenn es nicht geklappt hätte?“

„Daran versuche ich nicht zu denken.“

„Danke, dass du eine so gute Freundin bist.“

20/2017 Seht mal, was ich gefunden habe

Lele und Paola wurde durch das Röhren der Rentiere geweckt. Beide hatten lange und fest geschlafen. Paola drehte sich um und sah Fynn in die Augen.

„Guten Morgen“, sagte Fynn.

„Guten Morgen“, sagte Paola. Hinter ihren Tränen verschwamm sein Gesicht.

„Lele komm her, dass musst du dir ansehen“, rief sie.

Dann fingen alle drei vor Erleichterung zu lachen an. Lele nahm ihm den Verband ab. Die Maden waren dick und fett. Das tote Gewebe war fast vollständig aufgefressen. Sie nahm die Maden heraus und reinigte die Wunde während Paola neue Maden holte.

„Spätestens heute Abend ist die Wunde vollständig sauber.“

„Dann können wir aufbrechen und einen Arzt suchen?“, fragte Paola.

„Und Topa“, ergänzte Lele.

„Meinst du, du schaffst das?“, fragte Paola Fynn.

„Ich denke schon, auch wenn ich nur auf der Ladefläche liegen werde.“

Die beiden Frauen packten die Sachen zusammen und luden alles auf den Schlitten. Mit vereinten Kräften und erstaunlich viel Mithilfe von Fynn schafften sie es, auch ihn auf den Schlitten zu heben.

„In welche Richtung ist Topa denn aufgebrochen?“, fragte Lele.

„Keine Ahnung. Ich dachte du hast darauf geachtet.“

„Nein, ich war wie du mit Fynn beschäftigt.“

„Dann folgt einfach dem Fluss“, sagte Fynn. „Er wird uns früher oder später in ein Dorf führen. Topa ist schlau und als Nikolaus wird er den selben Gedanken gehabt haben.“ Fynn klang so überzeugend, dass keine der beiden Frauen an seinen Worten zweifelte.

——

Topa und Jytte wechselten sich mit dem Fahren ab. Sie kamen gut voran. Nach zwei Tagen kamen sie an einen Fluss mit türkisfarbenem Wasser.

„Scheint, als ob dein Gedächtnis recht gehabt hat“, sagte Jytte.

„Wir folgen dem Flusslauf weiter nach Süden. Haltet die Augen offen wenn wir an eine Lichtung kommen. Das Lager müsste sich links am Waldrand befinden.“

Sie fuhren bis zum Abend weiter, ohne das Lager zu entdecken. Jytte drängte Topa eine Pause zumachen. Topa dachte an das Alter von Opa Kester und willigte ein.

——-

Lele und Paola folgten den Flusslauf nach Norden. Als die Sonne hinter den Bäumen versank, schlugen sie etwas abseits des Ufers das Lager für die Nacht auf. Fynn baute eine primitive Angel und gab sie Paola.

„So wie an unserer Hütte. Wirf den Köder weit in den Fluss.“

Paola gelang es, zwei Fische zu fangen, deren Namen sie zwar nicht kannte. Zusammen mit ein paar Wildkräutern und ein paar Beeren zum Nachtisch war es die leckerste Mahlzeit seit langem.

„Ich lass euch beide kurz alleine und nehme ein Bad“, sagte Lele. Sie ging ein Stück am Ufer entlang, bis sie eine flache Stelle am Ufer fand. Sie zog sich aus und ging ins Wasser.

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Jytte verteilte die Aufgaben. Opa Kester und der Arzt sollten Feuer machen uns auf Nilla aufpassen. Topa fiel die Aufgaben zu, den Schlitten zu entladen und die Schlafplätze herzurichten.

„Und was machst du?“, fragte er Jytte.

„Ich fang uns ein paar Fische“, antwortete sie.

Nach eine Weile kam Jytte zurück. In der einen Hand hatte sie die Angel an der sie vier Fische befestigt hatte. Mit der anderen Hand trug sie einen halbnackten Menschen über der Schulter.

„Seht mal, was ich gefangen habe.“

Sie legte die Gestalt auf den Boden. Ihre Arme und der Oberkörper samt Kopf waren mit den Kleidern gefesselt. Es musste sich bei der Gestalt um eine Frau handeln, den um ihren Kopf war eindeutig ein Rock gewickelt. Topa kniete sich neben die Gestalt und zog ihr den Rock vom Kopf.

„Lele?“

19/2017 Fressen um zu leben

Lele und Paola versuchten sich seit dem Streit so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Lele tat, als würde sie das Experiment mit dem Hasen nicht interessieren, kümmerte sich aber weiterhin um Fynn. Allerdings nur, wenn Paola gerade zufällig nicht bei ihm war. Paola tigerte zwischen Fynn uns dem toten Hasen hin und her. Gegen Abend ging sie erneut nachsehen, ob schon Maden auf dem Kadaver zu finden waren. Als sie mit dem Fuß dagegen stieß, flogen ein paar Fliegen davon. Mit etwas Glück sollten am nächsten Morgen die ersten Maden zu finden sein. In dieser Nacht schlief Paola seit langem wieder einmal ohne aufzuwachen.

Am nächsten Morgen fand sie tatsächlich Maden auf dem Kadaver. Nicht mehr als ein Dutzend, aber immerhin ein Anfang. Mangels Alternativen griff sie mit der bloßen Hand nach den Würmern, legte sie auf ein Taschentuch und ging zurück zu Fynn.

„Einfach reinlegen?“, fragte sie Lele.

Als sie keine Antwort bekam, interpretierte sie das als ein Ja und öffnete den Verband. Vorsichtig verteilte sie die Maden einzeln in der Wunde. Jetzt konnte sie nur noch abwarten.

„Ich gehe etwas Kräuter sammeln und sehe, ob ich etwas essbares für uns finde. Pass du bitte auf Fynn auf.“

Sie wartete nicht auf eine Reaktion von Lele sondern stieg auf den Schlitten und fuhr davon.

Lele war froh, nun einige Zeit alleine zu sein. Etwas von der Anspannung fiel von ihr ab. Sie setzte sich neben Fynn, fühlte seine Stirn, hörte seinen Atem ab und spürte, dass sein Puls wieder kräftiger wurde. Langsam hob sie den Verband an. Die Maden zappelten in der Wunde. Jedoch konnte sie nicht erkennen, ob sie tatsächlich von dem toten Fleisch fraßen. Nach dem sie auch keine Anzeichen Infektion finden konnte, dass der Zustand der Wunde sich verschlimmert hätte, dämmerte ihr langsam, dass dieser verrückte Plan wirklich funktionieren könnte. Da sie nichts weiter tun konnte als zu warten, nahm sie ein Bad im Fluss. Es war niemand hier und Fynn schlief noch, also würde kein Risiko bestehen. Sie zog ihre Kleider aus und legte sie ans Ufer. Das Wasser war kalt und es kostete sie einige Überwindung, aber als sie endlich ganz im Wasser war, fand sie es gar nicht mehr so kalt. Im Gegenteil, das kalte Wasser ließ sie ihren Körper wieder spüren. Ein Gefühl, dass sie schon seit längerem nicht mehr gehabt hatte Ich sollte öfter nackt in türkisfarbenem Wasser baden, dachte sie bei sich.

Nach dem Bad wärmte sie sich eine Weile am Feuer. Der Wechsel zwischen warm und kalt, jetzt wieder warm machte sie schläfrig. Sie kontrollierte noch einmal Fynns Wunde. Dann legte sie sich neben ihn und schlief ein. Als wie wieder aufwachte, war die Sonne schon dabei, langsam unterzugehen. Paola war noch nicht zurück. Lele sah erneut nach der Wunde. Sie hatte den Eindruck, dass die Tierchen größer waren. Und sie bewegten sich immer noch. Paola hatte es tatsächlich geschafft. Und sie, Lele, war nur herum gesessen, satt zu helfen. Sie ging zu dem Kadaver um weitere Maden zu holen. Sie schaffte es sogar, ihren Ekel zu überwinden und die kleinen weißen Würmer in die Hand zu nehmen. Zumindest gab es jetzt wieder eine Chance, dass Fynn überleben würde. Vielleicht gab es ja auch eine Chance für die Freundschaft mit Paola.

Die kehrte kurze Zeit darauf zurück und konnte gerade noch sehen, wie Lele einige Maden aus der Wunde nahm und ins Feuer warf.

„Was machst du da?“, rief sie und sprang vom Schlitten. „Lass gefälligst deine Finger von ihm.“

Paola rannte zu Fynn. Erstaunt stellte sie fest, dass viel mehr Maden in der Wunde waren als heute vor ihrem Aufbruch.

„Die alten Maden müssen raus, bevor sie sich einpuppen“, sagte Lele. „Das machen sie nämlich, wenn sie vollgefressen sind.“

Paola blickte sie traurig an.

„Entschuldige bitte. Ich dachte du würdest….“

„Schon ok“, sagte Lele und kniete sich neben sie.

„Ich bin so müde und erschöpft, ich kann schon nicht mehr klar denken.“

„Fynn geht es gut und die Maden tun was sie tun sollen. Ich mach uns etwas zu essen. Du kannst solange ein Bad im Fluss nehmen. Hab ich auch gemacht. Wird dir guttun.“

Lele hörte sich ganz anders an als in den letzten Tagen. Ihre Stimme klang kräftiger und voller Zuversicht. Vielleicht war ein Bad tatsächlich das richtige.

18/2018 Bis der Arzt kommt

Nach zwei Tagen ging es Topa wieder besser. Die Kopfschmerzen waren weg, der Schwindel auch und die Beule auf seiner Stirn wurde blau und grün.

Morgen erwarteten sie Jytte und hoffentlich den Arzt zurück. Während des Abendessens unterhielten sich Topa und Opa Kester.

„Wieso hast du den Hof aufgegeben?“, fragte Topa.

„Die Arbeit wurde für mich und meine Frau zuviel. Wir haben eine Tochter. Doch die ist mit einem Reisenden durchgebrannt und hat ihre Tochter bei uns gelassen. Jytte ist meine Enkelin und meine Tochter. Sie ist eine fleißige und gute Bäuerin. Meine Frau war um einige Sommer älter als ich. Sie starb vor ein paar Sommern. Jytte und ich schafften die Arbeit kaum noch. Also holten wir uns einen Knecht auf den Hof. Er hat sich in Jytte verliebt, und die wurde schwanger. Da bekam der Kerl kalte Füße und ist Hals über Kopf davon. Ich bin zu alt für die schwere Arbeit. Also haben wir das Vieh verkauft und sind in das nächste Dorf gezogen.“

„Wovon lebt ihr?“

„Vom Verkauf der Tiere und Jytte arbeitet als Bäuerin auf einem Hof. Während sie arbeitet passe ich auf die kleine Nilla auf. Wir kommen gut damit aus. Und du? Was machst du?“

Topa erzählte von seinem Dorf, seiner Arbeit als Nikolaus, seinen Freunden und Livdröm, der Entführung von Paola und ihrer Rückreise.

Opa Kester nickte zustimmend. „Scheint mir, als würde euch so schnell nichts aus der Bahn werfen. Komm mit, ich will dir etwas zeigen.“

Opa Kester führte Topa hinter den kleinen Schuppen in dem der zerfallene Schlitten stand und deutete auf Haufen Laub und Äste.

„Ich habe den dritten Mann gefunden“, sagte er. Mit einem Stock hob er ein paar Äste an und Tpa konnte das zerschlagene Gesicht eines Mannes sehen.

„Warst du….“

„Nein“, sagte Opa Kester. „Scheinbar haben sie sich gestritten und ihn dann erschlagen.“

„Stimmt“, sagte Topa. „Jytte hat erzählt, dass sie nur zwei Männer hat wegfahren sehen.“

„Jetzt wissen wir auch warum.“ Opa Kester drehte sich um und ging ein paar Schritte Richtung Gaststube.

„Sollten wir ihn nicht begraben oder so?“, fragte Topa.

„Lass ihn liegen. Begräbnisse sind etwas für Angehörige. Den Toten ist es egal.“

Topa folgte dem Alten zurück in die Gaststube. Topa legte sich wieder hin und dachte über das nach, was Opa Kester ihm erzählt hatte. Nicht nur der Vater von Nilla, auch die Mutter von Jytte ist abgehauen und hat ihr Kind alleine zurück gelassen. Und was war mit dem Vater von Jytte? Darüber hat Opa Kester nichts erzählt. Topa verstand nicht, warum jemand sich so feige aus der Verantwortung stehlen konnte und warum man jemanden im Stich lässt, mit dem man ein Kind hat.

Am nächsten Tag kam Jytte zurück. Sie hatte nicht nur einen Arzt dabei sondern auch Vorräte für mehrere Tage. Die kleine Nilla stürmte auf Opa Kester zu und umschlang mit ihren Ärmchen sein Bein.

„Alles gute zum Geburtstag“, sagte Opa Kester.

„Wo ist mein Geschenk, Opa?“

„Dein Geschenk? Wir machen eine Reise und helfen Topa, seine Freunde wieder zu finden. Was hältst du von diesem Geschenk?“

„Oh ja“ jubelte die Kleine. „Eine Reise haben wir noch nie gemacht. Dann kannst du mir die ganze Zeit Geschichte erzählen.“

„Lasst uns gleich aufbrechen“, sagte der Doktor. „Der Patient scheint in ernster Gefahr zu sein.“

„Und dein Honorar ist auch nicht gerade wenig“, sagte Jytte.

Topa übernahm den Schlitten. Jytte saß neben ihm, Opa Kester, die kleine Nilla und der Doktor auf der Ladefläche.

„Du bist dir sicher, dass du den Weg findest?“, fragte Jytte.

„Ich hoffe schon. An ein paar Stellen kann ich mich noch erinnern.“

„Wonach suchen wir?“

„Nach einem Fluss mit türkisem Wasser. Er müsste ungefähr zwei Tage Richtung Süden liegen. Wenn wir den finden, finden wir auch meine Freunde.“

Topa hoffte, dass ihm seine Unsicherheit nicht anzumerken war. Er konnte sich zwar wieder an Bruchstücke erinnern, war sich aber nicht sicher, wie ihn die zu Lele führen sollten. Und er hoffte, dass es noch nicht zu spät für Fynn war.

p.s.: Alles Gute zum Geburtstag, Twins!!!

17/2017 Der letzte Winter auf Livdröm

Auf Livdröm färbten sich die ersten Blätter bunt. Boje und Vendela standen weit vor Sonnenaufgang auf, um die Tiere zu versorgen, Milch zu melken und zu verarbeiten. Die Zwillinge Elin und Keld lagen in einer Holzkiste die Onkel Pelle zu einer fahrbaren Wiege umgebaut hatte. Auch die Wichtelfamilie die mit Ihnen auf dem Hof lebte war stets mit dabei. Aber selbst die fleißigen Wichtel kamen hier an ihre Grenzen. Boje und Vendela waren längst darüber hinausgegangen. Sie lebten nicht mehr, sie funktionierten nur noch. Selbst zum reden waren sie zu müde und sprachen nur noch das nötigste miteinander. Ihre Ehe war vollkommen zum erliegen gekommen. Besonders Boje litt unter der Situation. Die Angst, seine Familie und den Hof nicht über den Winter zu bringen und Livdröm zu verlieren, war Fluch und Segen zugleich. Er hatte die Arbeit im Weinberg aufgegeben, um wenigstens die Ernte einzubringen, die notwendig war um die Tiere und den Hof mit dem wichtigsten zu versorgen. Vendela sah seinen Schmerz, war aber selbst zu müde um etwas dagegen zu unternehmen. Sie hatte wenigstens noch die wenigen Momente mit den Kindern, die sie motivierten weiter zu machen und nicht den Mut zu verlieren. Boje war nicht mehr zu erreichen.

Eines Abends saß sie in der Wohnstube und wartete mit dem Essen auf Boje. Sie erwachte, weil ihr kalt war. Das Feuer war ausgegangen während sie am Esstisch eingeschlafen war. Das Essen stand noch unberührt auf dem Tisch. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Der Mond schien nicht mehr durch das Fenster, also musste es weit nach Mitternacht sein. Sie packte etwas zu Essen auf einen Teller und machte sich auf die Suche nach Boje.

Schließlich fand sie ihm Stall. Dort lag er mit der Heugabel in der Hand im Stroh und schlief. Der Anblick trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie stellte den Teller ab und nahm eine der Decken für die Rentiere um ihn zuzudecken. Er schreckte hoch, als sie ihm die Heugabel aus der Hand nehmen wollte. Boje sah ihr verweintes Gesicht und fuhr hoch.

„Was ist passiert?“, wollte er wissen.

„Nichts mein Liebster. Nichts ist passiert.“

„Warum weinst du dann?“
„Weil ich Angst um dich habe. Du schuftest bis zur Erschöpfung und schläfst während der Arbeit ein. Wohin soll uns das noch führen?“

Boje schwieg. „Ich tue das doch nur für uns, damit wir eine Chance haben, unseren Traum weiter zu leben.“ Es klang fast wie eine Entschuldigung.

„Ich weiß“, sagte Vendela. „Ich möchte auch das wir weiter hier leben können. Aber nicht um jeden Preis. Wir haben eine Familie, zwei wundervolle Kinder, unsere Ehe und unsere Freunde. Was nutzt uns Livdröm, wenn wir das alles dafür müssen.“

„Willst du, dass wir aufgeben?“

„Nein. Ich möchte nur, dass wir wieder mehr Zeit für uns und unsere Freunde haben.“

„Aber Livdröm…. Ich habe dir versprochen, unsere Träume zu verwirklichen. Was sind die noch wert, ohne Livdröm? Was ist mein Versprechen dann noch wert?“

„Livdröm ist nur ein Traum. Es gibt noch andere, die wichtiger sind. Wir, unsere Familie und unsere Freunde. Livdröm können wir wieder aufbauen oder von vorne anfangen. Unsere Familie und unsere Freunde können wir nicht ersetzen.“

„Unsere Freunde sind nicht hier. Was werden sie denken, wenn sie zurück kommen und es gibt Livdröm nicht mehr? Falls Sie überhaupt zurück kommen…..“

„Sie werden zurück kommen. Und sie werden immer unsere Freunde bleiben. Wenn wir Livdröm verlieren, haben wir noch uns, mehr brauche ich nicht.“

„Und jetzt?“, fragte Boje resigniert. „Was verlangst du von mir?“

„Wir essen jetzt, dann gehen wir ins Bett, schlafen bis zum Nachmittag und verbringen den restlichen Tag mit den Kindern. Dann essen wir wieder, gehen wieder ins Bett und kümmern uns um unsere Ehe. Alles andere wird sich zeigen.“

„Können wir vor dem Essen unsere Ehe aufwecken?“

„Ich habe gehofft, dass du das sagst.“

16/2017 Is das eklig

Während Topa zur Untätigkeit verdammt auf die Rückkehr von Jytte warten musste, versuchte Paola Maden anzulocken. Lele war ihr keine große Hilfe. Im Gegenteil.

„Das ist doch nicht wirklich dein ernst“, fauchte sie Paola an.

„Hast du eine bessere Idee?“gab die genervt zurück.

„Na jeden Falls eine bessere als mit einem toten Hasen wilde Tiere anzulocken!“

„Ich locke keine wilden Tiere sondern Fliegen an. Außerdem lege ich den Hasen weit genug vom Lager weg.“

„Na da werden die wilden Tiere aber beeindruckt sein.“

„Was ist dein Problem? Unser Feuer brennt auch die ganze Nacht, da beschwerst du dich nicht.“

„Okay, okay. Mal angenommen, dein Plan funktioniert. Es greifen keine wilden Tiere an und sie fressen auch nicht einfach den Hasen auf und aus irgendeinem Grund kommt die richtige Fliege angeflogen, legt ihre Eier und wir haben Maden. Was willst du dann machen?“ Lele fand ihre Argumentation und die Frage überlegen gut. Denn medizinisch konnte Paola ihr nicht das Wasser reichen und wäre auf ihre Hilfe angewiesen.

Doch die Antwort war so einfach wie trocken.

„Ich nehme die Maden und lege sie in die Wunde.“

„W..wwas?“

„Ich lege die Maden in die Wunde, dann fressen sie das tote Gewebe und Fynn wird wieder gesund.“

„Soo einfach wie du dir das vorstellst ist das nicht.“

„Aber so hast du es mir erklärt.“

„Also erstens, wissen wir nicht, welche Maden wir brauchen. Zweitens wissen wir nicht, welche Maden wir dann vor uns haben – falls das überhaupt der Fall sein sollte – und drittens bringst du Keime in die Wunde, die alles nur verschlimmern.“

„Gut“, sagte Paola. „Danke für die Lehrstunde.“ Dann nahm sie ein Messer und schlitze dem Hasen den Bauch auf. Lele dreht sich angewidert weg und konnte gerade noch verhindern, sich zu übergeben.

„Bist du bescheuert?! Du bringst ihn noch um!“, keifte Lele.

„Der ist schon tot“, antwortete Paola, die langsam genug hatte.

„Fynn!!! Ich meine Fynn! Du wirst ihn umbringen.“

„Das hast du mir jetzt oft genug gesagt! DU brauchst ja nicht mit zu machen.“

„Prima. Dann bin ich wenigstens einmal nicht schuld.“

„Jetzt fang bloß nicht wieder mit der Leier an! NIEMAND ist schuld und niemand wir sterben!Kapiert?!“

„Ach ja!? Wenn du dich da bloß nicht täuschst, Miss Oberschlau!“

Paola packte Lele am Kragen und brüllte sie an:

„Er. Wird. Nicht.sterben!“

„Warum?“, war alles was Lele vor Schreck hervorbrachte.

„Weil ich ihn mir nur so vorstellen kann. Lebendig. Etwas anderes kann es nicht geben verstehst du? Und deswegen wird er nicht sterben.“

„Lass mich los, bitte“, flehte Lele mit Tränen in den Augen.

Paola ließ sie los, drehte sich um und hob den Hasen auf. Sie lief schnurstracks in die entgegengesetzte Richtung. So konnte Lele ihre Tränen nicht sehen. Als sie am anderen Ende der Lichtung angekommen war, hängte sie den Hasen an einen Baum. Vielleicht hatte Lele recht und wilde Tiere würden den Kadaver einfach auffressen.

Dann ging sie zurück und setzte sich neben Fynn. Gut, dachte sie, dass er von dem Streit nichts mitbekommen hatte.

Lele saß mit dem Rücken zu ihr auf dem Schlitten und weinte leise. Fynn lag im sterben, Topa war immer noch verschwunden und die Freundschaft mit Paola war kaputt.

15/2017 Sorry, hab dich verwechselt

Als Topa wieder zu sich kam, lag er auf einem der Tische in der Wirtsstube. Sein Blick war verschwommen, woran vermutlich seine Kopfschmerzen schuld waren. Der Versuch sich aufzurichten führte da zu, dass sein Kopf explodierte. Er stöhnte und schloss die Augen in der Hoffnung, der Schmerz würde dadurch nachlassen. Eine Hand berührte seine Schulter.

„Schön, dass du wieder wach bist.“

Topa erkannte die Stimme von Opa Kester.

„Was ist passiert?“, fragte Topa.

„Du hast Bekanntschaft mir meiner Jytte gemacht“, lachte Opa Kester.

„Wie nett“. Etwas besseres fiel ihm nicht ein.

„Sie hat sich im Wald versteckt und gewartet, bis die Männer weg waren.“

„Und warum schlägt sie mich dann nieder?“

„Ich habe gesehen, dass zwei Männer mit dem Schlitten weggefahren sind. Also bin ich zurück zum Hof um den dritten Mann zu überwältigen und Opa Kester zu befreien. Leider bist du mir dann vor die Schaufel gelaufen.“

„Wie beruhigend, dass der Schlag nicht mir galt“, sagte Topa.

„Jetzt hab` dich nicht so“, sagte Jytte. „Schließlich hättest du ja auch einer von denen sein können.“

Jytte schien beleidigt zu sein. Oder war das ihre Art, sich zu entschuldigen? Topa fiel wieder ein, warum er hier war.

„Wie müssen Hilfe holen. Meine Freunde sind ein paar Tage von hier alleine im Wald. Einer von Ihnen ist schwer verletzt.“

„Wir fahren nirgendwo hin“, sagte Jytte.

„Aber ich…“

„Jytte hat recht“, unterbrach ihn Opa Kester. „Du hast ganz schön was an den Kopf bekommen. Es ist besser, wenn du noch ein paar Tage ruhig liegen bleibst.“

„Aber ich muss einen Arzt holen. Fynn wird sonst sterben. Wer weiß, ob er überhaupt noch lebt.“

„Wo finde ich deine Freunde?“, wollte Jytte wissen.

Topa überlegte. Er war vier Tage mit dem Schlitten unterwegs gewesen. Aber an den genauen Weg konnte er sich nicht mehr erinnern.

„Ich kann mich nicht erinnern“, stammelte er. „Rund vier Tagesreisen Richtung Süden, würde ich sagen.“

Opa Kester und Jytte sahen sich an. Topa hatte noch immer die Augen geschlossen und konnte nicht sehen, wie die beiden sich wortlos verständigten. Opa Kester nickte mit dem Kopf in Richtung der Türe. Jytte verdrehte die Augen und sah in fragend an.

„Jytte fährt in unser Dorf und holt unseren Arzt. Du bleibst in der Zwischenzeit hier liegen und versuchst, dich an den Weg zu erinnern.“

Opa Kester ließ keinen Zweifel an dem, was er sagte. Topa war ihm insgeheim dankbar. So würde er noch das beste aus seiner Situation machen können. Und vielleicht, fiel ihm ja der Weg wieder ein.

Opa Kester begleitete Jytte nach draußen.

„Wieso willst du ihm helfen?“, fragte Jytte als Topa sie nicht mehr hören konnte.

„Er hat mir auch geholfen. Und wir haben es ihm zu verdanken, dass die Männer wieder weg sind.“

„Aber du kennst ihn doch gar nicht. Vielleicht gehört er wirklich zu ihnen.“

„Nein, gehört er nicht. Vertrau mir. Und beeil dich. Versuch´, in drei Tagen wieder hier zu sein. Mit dem Arzt.“

„Und wie sollen wir den Arzt bezahlen? Wir sind so gut wie pleite, schon vergessen?“

Opa Kester fummelte an seinem Kragen herum und zog eine Kette mit einem Medaillon hervor.

„Hier, zeig ihm das. Er wird es verstehen und uns helfen. Und jetzt beeil dich.“

Jytte gehorchte und Opa Kester ging zurück um nach Topa zu sehen.

Keinem der drei war aufgefallen, dass Jytte gesehen hatte wie nur zwei Männer weggefahren waren.