4 Perfekt?

Die Hochzeitsfeier war noch lange das Gesprächsthema im Weihnachtsdorf. Die Dorfbewohner trafen die ersten Vorbereitungen für die Erntezeit. Die Weizenfelder leuchteten gold-gelb im Sonnenschein. Diesen Sommer würde es wieder eine gute Ernte werden. Die Kinder hatten bereits Sommerferien. Die größeren Kinder wurden teils für die Ernte eingeteilt, teilweise passten sie auf die anderen Kinder auf. Die Erwachsenen teilten sich in mehrere Gruppen und regelten untereinander die Reihenfolge, in der die Felder geerntet werden sollten. Auch Fynn schloss sich einer solchen Gruppe an. Nach der Arbeit ging er stets zur Backstube, um Paola abzuholen. Seit der Hochzeit war es nun kein Geheimnis mehr, dass die beiden ein Paar waren. Paola wohnte weiter bei Oma Lerke. Mittlerweile hatte sie einen Großteil der Bücher von Oma Lerke gelesen. Ihr Wissen über Kräuter und Heilpflanzen wuchs mit jedem Buch. Anfangs war sie nur auf der Suche nach neuen Ideen, die sie in der Backstube oder beim Kochen ausprobieren konnte. Doch nach und nach fand sie auch immer mehr Interesse daran, Kräuter zu Tee, Tinkturen, Salben, Seifen, Crèmes, Kräuterölen, Likören und Blütenessenzen zu verarbeiten. Beim stöbern im Oma Lerkes Bücherregal hatte sie ein Buch über Frauenheilkunde entdeckt. Darin war auch ein Kapitel über die Behandlung während und nach der Schwangerschaft zu finden. Sie hatte das Buch lange betrachtet und dann doch wieder zurückgestellt. Die Erinnerungen an das, was sie über den Tod ihrer Mutter bei ihrer Geburt herausgefunden hatte und die Reise mit Topa zum Grab ihrer Eltern, lösten unangenehme Gefühle in ihr aus. Sie versuchte, nicht mehr an das Buch und das, was es in ihr auslöste zu denken. Sie sprach auch mit niemandem darüber. Aber e wollte ihr nicht recht gelingen. Eines Abends stand sie wieder vor dem Regal. Dann nahm sie das Buch und steckte es in den kleinen Rucksack, den sie auf ihren Kräuterwanderungen stets bei sich trug.

Oft begleitete sie Fynn auf ihren Wanderungen. Sie wanderte über Wiesen oder durch Wälder und suchten nach Pflanzen oder Orten, an denen nur bestimmte Kräuter wuchsen. Auf einer dieser Wanderungen hatte sie eine verlassene Hütte an einem kleinen See entdeckt. Der See war zur Hälfte mit Wald umgeben, auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein kleiner Steg, an den sich die Hütte anschloss.

Paola hatte sich nicht getraut, einfach so in eine fremde Hütte einzubrechen, wie sie es nannte. Doch Fynn war geradewegs auf die Tür zumarschiert. Zu ihrer Erleichterung schien die Tür verschlossen zu sein. Doch Fynn gab ihr mit der Schulter einen kräftigen Stoß. Die Tür ächzte und quietschte, als sie sich ein Stück weit öffnete.

„Hat sich nur etwas verzogen“, rief ihr Fynn über die Schulter zu. „Das habe ich im Nu repariert.“

„Du kannst doch nicht einfach die Hütte eines wildfremden Menschen reparieren“, entgegnete Paola.

„Wieso nicht“, fragte Fynn ohne sich umzudrehen.

„Was wenn er oder sie zurück kommt?“

„Dann wird er oder sie sich über eine reparierte Tür freuen.“ Er ging auf die zu, hob sie hoch und trug sie zum Eingang.

„So wie es aussieht, war hier schon seit vielen Sommern niemand mehr.“

„Klingt nicht sehr einladend“, machte Paola einen letzten Versuch.

Fynn grinste nur und lies sie vor der Tür wieder auf den Boden. Dann ging er hinein. Um das Gefühl loszuwerden, ein Feigling zu sein, folgte sie ihm. Die Hütte hatte nur eine Stube mit Kamin, Herd, einem Tisch mit 4 Stühlen. Auf der gegenüberliegende Seite waren zwei Türen. Eine führte in eine Schlafkammer, die gerade groß genug für ein Bett war. Hinter der anderen Tür war noch eine Kammer. Sie war kleiner und wurde scheinbar als Vorratskammer genutzt.

„Perfekt“, freute sich Fynn.

„Perfekt? Du willst hier bleiben?“

„Wieso denn nicht?“

„Die Hütte gehört uns nicht.“

„So wie es aussieht, gehört sie niemandem. Und falls doch, warum sollte er oder sie gerade jetzt zurückkommen?“

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