5 Alles Gute kommt von Oma

Als Oma Lerke das Krankenhaus betrat, humpelte ihr Lele auf Krücken entgegen, verfolgt von einer Krankenschwester. Ihre Versuche, Lele´s waghalsige Manöver etwas zu dämpfen, waren erfolglos.

„Hallo Oma! Überraschung! Na, was sagst du jetzt?“ rief sie voller Freude.

„Zuerst freue ich mich für dich, dass du wieder aufstehen kannst.“

„Sie macht das schon sehr gut“, sagte die Krankenschwester und war leicht außer Atem.

Oma Lerke lachte.

„Ich kann mich noch gut an ihre ersten Schritte erinnern. Da hat es auch nicht lange gedauert, bis ich nicht mehr hinterher kam.“

„Dann gebe ich die Patientin jetzt wohl besser in ihre Hände“, sagte die Krankenschwester, nickte den beiden zu und ging.

„Lass uns spazieren gehen“, forderte Lele.

„Liebes, ich bin eine alte Frau und kann mit der Ungeduld der Jugend nicht mehr mithalten. Ich habe Tee und Kuchen dabei. Schokoladenkuchen.“

„Überredet“, grinste Lele und flog davon. Oma Lerke machte erst gar nicht den Versuch, sie einzuholen und fragte lieber nach dem Weg.

Lele erzählte bei Tee und Kuchen, was ihr passiert war und von den Tagen im Krankenhaus. Dann schwieg Lele eine Weile.

„Was hast du?“ fragte Oma Lerke schließlich.

„Mama wäre der Vergleich mit meinen ersten Schritten nicht eingefallen.“

Während Oma Lerke nachdachte, versuchte sie vergeblich, Lele´s Blick einzufangen. Ohne den Kopf zu heben, vertraute Lele ihr das Gespräch mit Tomte Tummetott an.

„Weißt du“, sagte Lele dann. „Ich denke, Tomte hat recht. Ich habe nicht die Entscheidung getroffen, Krankenschwester zu werden, sondern nicht Ärztin zu werden. Ich wusste zwar nicht immer genau was ich will, ich wusste meist nur, was ich nicht will.“

„Und was ist daran schlecht?“ forderte Oma Lerke sie auf, den Gedanken weiter zu denken.

„Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich das wofür ich mich entschieden habe, auch nicht will. Statt mich bewusst zu entscheiden habe ich in Wirklichkeit oft nur im Nebel gestochert.“

„Das tun viele“, sagte Oma Lerke. „Wichtig ist, dass du aus deinen falschen Entscheidungen lernst. Und noch schlimmer wäre es, wenn du Entscheidungen ausweichen würdest. Aber das tust du nicht, und das bewundere ich an dir.“

„Mama nicht. Sie bewundert gar nichts an mir“ konterte Lele. „Von ihr höre ich immer nur was alles schief gehen kann, wie unmöglich dieses oder jenes doch wäre und dass ich mal lieber sie entscheiden lassen sollte.“

„Deiner Mutter ist es schon immer schwer gefallen, Fehler zuzugeben.“

„Und deswegen darf ich keine machen?“

Erst jetzt hob Lele den Kopf. Aber ihre Blicke trafen sich immer noch nicht, weil Leles Augen unruhig den wechselnden Richtungen ihrer Gedanken zu folgen schienen.

„Sie hat ihren Vater über alles geliebt und wollte für ihn die perfekte Tochter sein, schließlich hatten wir nur ein Kind. So hat sie ständig um seine Anerkennung gekämpft.“

„Aber hat Opa sie denn nicht geliebt?“ wollte Lele wissen.

„Doch, sehr sogar. Sie hat es von sich aus getan. Erst wenn etwas perfekt war, dann konnte sie auch seine Anerkennung dafür annehmen. Es waren ihre eigenen, hohen Ansprüche, an denen sie als Kind oft gescheitert ist.“

„Aber…..“, begann Lele, brach den Satz dann ab. Konnte das wirklich sein, fragte sie sich. Der Gedanke erschien ihr so abwegig, dass sie ihn laut aussprechen musste. Vielleicht glaube ich es, wenn ich es höre, dachte sie.

„Und weil sie sich nur geliebt gefühlt hat, wenn etwas perfekt war, muss ich auch so sein wie sie?!“

Jetzt war es Lele, die die Augen von Oma Lerke suchte, als ob sie sich daran festhalten könnte.

„Weiß sie eigentlich, was sie mir damit antut? Das ist nicht fair!“

Dann verlor sie doch den Halt.

Als die Nachtschwester das Abendessen brachte, hatte Lele immer noch den Kopf an der Schulter von Oma Lerke. Nachdem sie wieder alleine im Zimmer waren, fragte Lele, wie das die Beziehung zu ihrer Mutter verbessern sollte.

„Du verstehst jetzt das Problem“, sagte Oma Lerke. „Jetzt kannst du auch nach einer Lösung suchen.“

Lele wusste, dass Oma Lerke recht hatte. Für heute hatte sie genug. Die anderen Fragen mussten warten.

„Ich gehe mir das Gesicht waschen, Topa wird gleich hier sein. Er fährt dich bestimmt nach Hause.“

Oma Lerke hielt sie am Arm fest.

„Er liebt dich so, wie du bist.“

Lele erschrak. Doch dann gewann diese Gefühl, das nur Topa in ihr auslösen konnte.

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