6 Kassensturz auf Livdröm

Der Winter ging langsam zu Ende. Im Kamin brannte wie immer ein Feuer. Nur auf dem Tisch standen nicht wie üblich zwei Gläser Wein, sondern zwei Tassen Tee. Vendela fand es nur fair, dass Boje auch keinen Wein trank. Schließlich war es ihr gemeinsames Kind. Die beiden saßen an dem großen Tisch und machten den für diese Zeit üblichen Kassensturz. Sie konnten mit dem ersten Sommer auf Livdröm zufrieden sein. Durch den kleinen Laden hatten sie mehr verkaufen können und die Kosten für einige ungeplante Baumaßnahmen waren damit gedeckt. Dazu hatten sie noch ein paar Pfandbriefe, die die Dorfbewohner als zusätzliches Zahlmittel neben den Silbertalern nutzen. Lebensmittel wurden mit Talern bezahlt. Um größere Summen, Handwerker oder Baumaterial zu bezahlen, nutzten die Dorfbewohner Pfandbriefe. Diese enthielten nur die geleistete Arbeit oder die gelieferte Ware. Der Gegenwert basierte auf Vertrauen.

„Damit haben wir ein kleines Polster, wenn das Baby kommt,“ sagte Boje voller Stolz und Anerkennung zu Vendela.

„Ich habe immer daran geglaubt, dass wir es schaffen. Du bist ein toller Ehemann.“

„Nur mit dir an meiner Seite, können wir unseren Traum Leben.“

„Wir brauchen das Polster. Ich kann nicht mehr so viel Waren für den Laden herstellen wenn das Kind da ist“, wagte Vendela den Ausblick auf diesen Sommer.

„Und ich werde dich nicht alleine mit dem Kind lassen. Also werde auch ich weniger auf dem Hof arbeiten können. Wir müssen gut planen.“

Vendela musste daran denken, dass sie beide keine Ausbildung für das hatten, was sie auf Livdröm machten. Boje war Lehrer und nicht Landwirt geschweige denn Handwerker. Sie hatte ihre Ausbildung im Bürgermeisteramt gemacht. Fähigkeiten wie Kochen, Backen, Stricken oder Häkeln kannte sie nur von ihrer Mutter oder hatte es sich selbst beigebracht.

„Ich habe etwas Angst, dass wir unser fehlendes Fachwissen jetzt nicht mehr durch Fleiß ausgleichen können“, sagte sie dann.

Boje nahm sein Frau in den Arm. Dann zählte er alle Bücher auf, die sie gelesen hatten, alle Leute, mit denen sie gesprochen hatten und zu guter Letzt noch alle die Leute, die ihnen geholfen hatten.

„Ich weiß, du hast ja recht“, sagte Vendela. „Topa und Lele haben uns wahnsinnig viel geholfen. Aber die beiden haben ihre eigene Arbeit und können nicht ihre ganze Freizeit bei uns auf dem Hof schuften. Mir wäre wesentlich wohler, wenn wir für diesen Sommer einen Wandergesellen bei uns aufnehmen. Über der Werkstatt können wir leicht eine kleine Wohnung einrichten.“

Boje wusste, dass sie recht hatte. Und auch wenn es seinen Stolz ein wenig verletzte, Hilfe konnten sie wirklich brauchen. Ihre Eltern kamen nicht in Frage, die lebten zu weit weg bzw. bei den Menschen. Also würde ihr Kind auf seine Großeltern verzichten müssen. Umso wichtiger war es ihm deswegen, so viel Zeit wie möglich für mit dem Kind zu verbringen, am besten gemeinsam.

„Gut“, sagte er. „Lass uns nach einem Wandergesellen suchen. Topa hat mir berichtet, dass sie auf der Versammlung beschlossen haben, mehr Wandergesellen für einen Sommer aufzunehmen und ihnen auch wieder eine dauerhafte bleibe im Dorf anbieten wollen. Der Bedarf ist groß, wir müssen uns beeilen, wenn wir jemanden aufnehmen wollen.“

„Wir könnten Paola fragen“, schlug Vendela vor. „Sie wohnt doch in der Hütte, in der Wandergesellen und Saisonarbeiter untergebracht werden.“

„So ein Zufall, dass deine beste Freundin ein Verhältnis mit ihrem Bruder hat“, sagte Boje und grinste dabei.

„Herr Boje!“ antwortete Vendela mit sichtbar gespielte Entrüstung. „Wenn du so wichtigen Themen nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkst, suche ich den Namen für unser Kind lieber alleine aus.“

Boje stand auf, hob Vendela von ihrem Stuhl und trug sie zur Couch. Einen Namen, würden sie heute nicht mehr finden.

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