Alles nur ein Mißverständnis?

Lele wachte auf, als Oma Lerke an die Tür zu ihrer Stube klopfte und den Kopf durch die halb geöffnete Tür steckte.

Ich wollt nur mal schauen, ob mit dir alles in Ordnung ist.“

Ich hab nur noch etwas geschlafen“, antwortete Lele.

Hast du Hunger? Du hast kein Frühstück gemacht. Ich hab uns eine Suppe gekocht und frisches Brot gebacken.“

Danke, das ist toll. Ich komm gleich.“ Lele stand auf, zog sich schnell eine Hose und einen Pulli und ging in die Küche zu Oma Lerke. Sie liebte Oma Lerkes Suppen. Heute gab es Kürbissuppe mit gerösteten Kürbiskernen, einem kleinen Klecks Kürbiskernöl. Dazu frisches Brot. ‚Einfach herrlich‘, dachte Lele und setzte sich an den gedeckten Tisch. Während sie ihre Suppe löffelten, redeten sie über den neueste Klatsch aus dem Dorf.

Nach dem Essen fragte Oma Lerke: „Was liest du da für ein Buch?“

Ich weiß nicht genau“, antwortete Lele und erzählte, wie sie das Buch gefunden hatte. Dann gab sie Oma Lerke eine kurze Zusammenfassung, was bis jetzt in der Geschichte passiert war.

Wer war denn der junge Mann, der dich mit dem Schlitten heim gebracht hat“, wollte Oma Lerke wissen.

‚Aha‘, dachte Lele. ‚Daher weht der Wind.‘

Ach, das war nur Topa. Der, bei dem ich das Buch im Stall gefunden habe. Er hat mir geholfen, die stühle wieder ins Gymnasium zu fahren. Ich hab gar nicht mitbekommen, dass du noch wach warst, als Topa mich nach Hause gefahren hat.“

War ich auch nicht. Deine Mutter war heute früh da als du geschlafen hast.“

Lele lies dem Kopf hängen. Wenn ihre Mutter es wusste, dann vermutlich auch das ganze Dorf. Es machte ihr nichts aus, dass die Leute wussten, dass Topa sie heim gefahren hatte. Aber es würden wieder jede Menge Gerüchte entstehen. Lele hasste solche Gerüchte. Gab es denn nicht genug andere Dinge, über die man reden konnte? Jeder dichtete dann noch etwas hinzu, und schon wurden die haarsträubendsten Lügen herum erzählt.

Was ist denn mit dir und diesem Topa“, fragte Oma Lerke nach einer Weile.

Nichts“, antwortete Lele. Dann schwiegen beide eine Weile. Lele starrte in ihren Tee und Oma Lerke wartete geduldig, bis ihre Enkelin bereit war ihr zu erzählen, was sie wirklich beschäftigte. Schon als Lele noch ein kleines Mädchen war, hatten sie oft im Garten unter einem Baum gesessen und mit einander geredet. Erst waren es die Gedanken und Gefühle eines kleinen Mädchens, dann die eines Teenagers in der Pubertät und heute die einer jungen Frau, die ihren Platz in der Welt suchte. Oma Lerke hatte immer gespürt, wenn Lele etwas beschäftigt, sie sich aber selbst noch nicht im Klaren darüber war. So war es jetzt auch.

Nach einer Weile löste Lele den Blick von ihrer Teetasse und sah ihre Oma an. „Ich weiß nicht genau. Er ist anders als die anderen Männer. Schon im Bücherkreis war er anders, hatte viel mehr Verständnis für die Figuren in den Geschichten. Er war ein bisschen ein Einzelgänger, und die anderen verstanden seine Ansichten oft nicht. Es fragte aber auch keiner nach, und so wurde Topa langsam zum Außenseiter und die anderen machten sich oft lustig über ihn. Ich weiß nicht viel über ihn. Wir haben uns gut verstanden und er hat mich mit dem Schlitten fahren lassen. Das war ein Spaß.“

Oma Lerke wusste, dass sie heute nicht mehr von Lele erfahren würde. Sie lies es dabei und wechselte das Thema.

Ich hab deine Mutter für heute Abend zu Essen eingeladen. Ich würde mich freuen, wenn du mir zuliebe auch dabei bist.“

Sie wird wieder ständig an mir rum nörgeln“, antwortete Lele in der Hoffnung, Oma Lerke würde ihre Meinung noch ändern. Lele liebte ihre Mutter trotz allem was passiert war. Ihre Ansichten waren einfach zu verschieden. Aber sie war ihre Mutter.

Dann hör einfach nicht hin und tu deiner alten Oma diesen Gefallen.“

Lele stand auf, ging um den Tisch und nahm Oma Lerke in den Arm. „Na gut Oma; aber ich tu das nur für dich.“

Danke mein Liebes, das freut mich sehr. Ich mach dir auch einen Schokoladenpudding zum Nachtisch. Mit Nüssen und Sahne.“

Überredet“, grinste Lele ihre Oma an. „Dann leg ich mich jetzt wieder ins Bett und les das Buch zu Ende.“

Lele nahm das Buch vom Kaminsims und ging wieder in ihre Stube. Und wieder war sie sofort von der Geschichte gefesselt. Die beiden Hauptfiguren hatten jede Menge Abenteuer und Schicksalsschläge zu bestehen.

Draußen wurde es langsam dunkel. Lele zündete eine Kerze an, um weiter lesen zu können. Sie musste einfach wissen, wie die Geschichte aus ging.

Die Geschichte war spannend und lebendig geschrieben. Lele wünschte sich auch einen Partner, der so für sie kämpfen würde, wie der Held in der Geschichte. Doch das würde wohl nie passieren; schließlich war sie ja nicht die Tochter eines Grafen. Und so hübsch wie die Frau in dem Buch war sie auch nicht.

Die beiden Hauptfiguren setzten sich gegen alle Widrigkeiten durch und am Schluss gewann ihre Liebe und die beiden wurden ein glückliches Paar.

Als Lele das Buch zur Seite legte, viel ihr wieder der Zettel ein. Sie wollte ihn gerade lesen, als ihre Mutter herein stürmte. Natürlich ohne zu klopfen.

Ach Kindchen; Liebes bist zu krank? Das kommt davon, wenn man sich die ganze Nacht mit diesem Nikolaus und seinem Schlitten rum treibt. Was hast du dir nur dabei gedacht? Dieser Topa ist nichts für dich.“

So weit waren die Gerüchte also schon rum gekommen. Lele lies die Schultern hängen, das würde ein schwerer Abend werden. Aber sie hatte es ihrer Oma versprochen, also versuchte sie so diplomatisch wie möglich zu antworten.

Hallo Mama“, begrüßte Lele ihre Mutter. „Nein, ich bin nicht krank. Ich habe nur gelesen.“ Auf den Teil mit Topa wollte sie nicht eingehen. Ihre Mutter sah das anders.

Aber dieser Topa. Kindchen, das ist doch kein Mann für dich. Ein Nikolaus in unserer Familie, das hat mir gerade noch gefehlt.“

Lele brauchte noch etwas Zeit, um ihre Gedanken zu sortieren und sich zu sammeln. Dann war es am besten, ihre Mutter einfach weiter reden zu lassen.

Wieso? Was ist denn so schlimm an einem Nikolaus?“fragte Lele so unwissend wie möglich.

Kindchen, ich bitte dich. Eine Frau in meiner Position, und dann ein Nikolaus als Schwiegersohn? Das geht doch nicht. Und was der für einen Lebenswandel hat. Treibt sich im Wirtshaus rum. Nicht mal mehr seinen Schlitten konnte er nach hause fahren, so betrunken war er. Und mit einer dieser Italienerinen hat er sich auf dem Boden gewälzt. Kindchen, ich bitte dich. Vor allen Leuten auf dem Boden. Und ich weiß genau, wie das geendet hat. Man hat ihm aus ihrer Hütte kommen sehen am nächsten morgen. Also sowas macht man doch nicht. Und dann auch noch mit einer Ausländerin, da muss man doch vorsichtig sein. Nein, nein Kindchen, der ist nichts für dich, vertrau auf deine Mutter.“

Lele hatte sich mittlerweile wieder angezogen. Was erzählte ihre Mutter da über Topa?

Ach Mama, das is doch bestimmt wieder nur der übliche Klatsch aus dem Dorf. Dafür gibt es bestimmt eine ganz einfach Erklärung.“

Kindchen, tu mir das nicht an. Jetzt verteidigst du auch noch so einen? Am Ende bist du noch verliebt ein so einen Hallodri. Ein Frauenheld ist das, der ist nichts für dich. Kindchen, bitte tu mir das nicht an. Eine Frau in meiner Person. Kindchen du musst auch an meinen Ruf denken.“

Lele spürte, wie sie langsam anfing, die Beherrschung zu verlieren. Nicht nur, dass ihre Mutter sie wieder angriff, jetzt ging es auch noch gegen Topa. Aus irgendeinem Grund wollte sie Topa verteidigen. ‚Dabei kenn ich ihn doch gar nicht. Wir waren nur einmal Schlitten fahren‘, dachte Lele. Sie beschloss, das Gespräch zu beenden. Sie musste sich erst noch über einiges Gedanken machen und Klarheit verschaffen.

Lass uns gehen. Oma wartet bestimmt schon mit dem Essen“. Lele lies ihre Mutter einfach stehen und ging in die Küche.

2 Gedanken zu „Alles nur ein Mißverständnis?

  1. Ich wollte mich für den Adventskalender bedanken. Meine Tochter und ich hatten viel Spaß und freuen uns auf das Ende. Aufmerksam wurde ich darauf von Ihrer Nachmieterin gemacht

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