Arbeit ist (nur) das halbe Leben

„Macht dir die viele Arbeit auf dem Hof denn gar nichts aus?“, fragte Lele.

„Nicht alles, was du hier siehst, ist Arbeit.“

„Du meinst Augenblicke wie jetzt?“

„Nicht nur“, antwortete Vendela. „Wir wollten schon immer unseren eigenen Hof haben, mit der Natur leben und die Dinge anbauen und ernten, die wir auch selbst verarbeiten können. Dafür müssen wir hart arbeiten. Am Anfang noch mehr als jetzt. Aber wenn wir das nicht machen, stirbt unser Traum und wir würden unser Gleichgewicht verlieren. Wir haben den Hof „Livdröm“ genannt. Das sind alte Wörter für Leben und Traum. Es soll uns immer daran erinnern, was wir für ein Glück haben, unseren Traum auch zu leben“.

 

„Aber wie kannst du bei soviel Arbeit glücklich sein?“

 

„Alles was wir hier machen, ist Teil unseres Traums. Die meiste Arbeit macht uns Freude und gibt uns das Gefühl, zufrieden zu sein und ein erfülltes Leben zu führen. Verstehst du was ich meine?“

 

Lele schwieg eine Zeit. Sie musste an das denken, was Topa ihr über Glück erzählt hatte. Damals hatte er auch von Zufriedenheit und einem erfülltem Leben gesprochen. Zwar hatte er das an einem anderen Beispiel erklärt, aber der Grundgedanke war der selbe.

 

Es war Vendela, die das Gespräch wieder aufnahm.

 

„Du suchst noch, hm?“

 

„Ja,“ gab Lele offen zu. „Schon eine ganze Weile. Wann hast du gewusst, dass du dein Glück gefunden hast?“

 

„Schwer zu sagen. Ein Freund hat mir mal erzählt, das Glück ist eine Reise, bei der du nicht weist, ob du schon am Ziel bist. Vielleicht gibt es auch mehrere Ziele, und wir müssen vom einem zum nächsten reisen. Im Moment habe ich das Gefühl, am Ziel zu sein. Es fühlt sich gut an, ich bin zufrieden, habe Freude an den Dingen die ich tue und kann das alles auch genießen. Wenn du nur suchst und nicht auf das achtest, was du schon hast, wirst du nie ankommen. So hat dieser Freund es mir erklärt. Nach einer Weile habe ich auch verstanden, was er damit meinte…“

 

„Das Gleichgewicht,“ beendete Lele den Satz.

 

Wieder schwiegen die beiden eine Weile lang.

 

„Ich habe gelernt, auch mein Gefühl zu vertrauen. Wenn es sich gut anfühlt, dann ist es auch gut.“

 

„Das mit Topa, das fühlt sich sehr gut an“, erwiderte Lele.

 

„Nun,“ sagte Vendela, „dann wird es auch sehr gut sein.“

 

„Wie habt ihr Euch kennengelernt?“, wollte Lele wissen.

 

„Wir haben uns bei den Menschen kennengelernt.“

 

„Du hast bei den Menschen gelebt“, platze es aus Lele heraus.

 

„Ja. Meine Eltern sind zu den Menschen gegangen als ich noch sehr klein war. Ich bin dort aufgewachsen. Aber immer wenn ich meine Großeltern hier besucht habe, dann habe ich gespürt, dass ich hier zu Hause bin. Eines Tages habe ich dann Boje kennengelernt. Er war Lehrer an einer Schule in einem kleinen Ort und hat mit seinen Schülern ein Theaterstück aufgeführt. Wir haben uns für den nächsten Tag verabredet. Seit dem sind wir ein Paar. Nächsten Sommer wollen wir heiraten.“

 

Lele fiel ihr um den Hals. „Gratuliere. Ich freue mich so für Euch. Das muss ich Topa erzählen.“

 

„Damit wartest du wohl besser bis morgen“, antwortete Vendela und zeigte auf die Werkstatt. „Da brennt kein Licht mehr.“

 

„Oh, schon so spät?“ fragte Lele traurig, weil das Gespräch damit wohl zu Ende war.

 

„Ich würde gerne noch eine Weile hier draußen sitzen“, sagte Vendela.

 

„Sehr gerne“, stimmte Lele ihr zu. „Nur Himbeeren krieg ich keine mehr runter, ich glaub ich platz gleich.“

 

Beide mussten lachen. Dann unterhielten sie sich noch eine ganze Zeit lang. Lele lauschte gespannt, was Vendela von ihrem Leben bei den Menschen erzählte und wie sie mit Boje schließlich hier den Hof übernommen haben.

 

 

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