Archiv der Kategorie: Adventskalender 2015

24 Alles was zählt

Die Sonne war mittlerweile untergegangen und am Himmel waren die ersten Sterne zu sehen. Die meisten Gäste waren nach einer langen Feier nach Hause gegangen. Und so kehrte langsam etwas Ruhe ein und die Freunde hatten zum ersten mal an diesem Tag die Gelegenheit, für ein paar Augenblicke allein zu sein. Sie standen an einem der Marktstände und gönnten sich eine kleine Erfrischung.

Boje und Vendela versuchten Worte zu finden, die ihr Glück und ihre Dankbarkeit beschreiben könnten. Doch so sehr sie auch danach suchten, es wollte ihnen nichts passendes einfallen. Sie prosteten sich gegenseitig zu. Boje und Vendela nahmen jeden einzeln in den Arm und flüsterten ein einfaches Danke.

„Wie habt ihr das mit dem Tisch hinbekommen? Der ist einmalig“, wollte Boje nach einer Weile wissen.

„Es war Fynn, der uns auf die Idee gebracht hat“, gestand Lele.

„Und wir haben ein wenig in eurem Wald geplündert“, verriet Topa.

„Fynn hat nicht nur bei dem Tisch mitgewirkt“, ergänzte Paola. „Er hat auch herausgefunden, dass die Kiste meiner Mutter ein Geheimfach hat und darin die Kette gefunden.“

„Wo steckt Fynn eigentlich?“, fragte Vendela.

„Zuletzt hab ich ihn auf der Tanzfläche gesehen“, antwortete Lele.

Paola verabschiedete sich, um Fynn zu suchen. Die anderen vereinbarten, sich später auf der Tanzfläche zu treffen.

Fynn tanzte gerade mit einer der Mädchen aus dem Dorf, als Paola ihn entdeckte. Sie blieb unschlüssig am Rand der Tanzfläche stehen und beobachtete ihn. Als ihre Blicke sich trafen, blinzelte Fynn ihr zu, machte aber keine Anstalten, den Tanz zu beenden. Nachdem er ihr wieder einmal zugeblinzelt hatte, drehte sich Paola um und ging. Fynn verabschiedete sich von dem anderen Mädchen und lief ihr hinterher.

„Hey, wo willst du denn hin?“, fragte er, als er sie eingeholt hatte.

„Wir haben über dich gesprochen. Und ich wollte sehen wo du steckst“, antwortete Paola trotzig.

„Nun, jetzt hast du mich ja gefunden.“

„Allerdings. Nur scheinst du beschäftigt zu sein.“

„Nicht mehr. Möchtest du vielleicht etwas trinken?“, versuchte er Paola einzuladen.

„Nein danke. Aber du wirst sicher Durst haben, soviel wie du heute getanzt hast.“

„Du hast mich beobachtet?“, fragte er erstaunt und legte ihr die Hand auf die Schulter, damit sie endlich stehen blieb.

„Wer ich? Nein. Das, äh, hat mir jemand erzählt“, log Paola.

Doch sie hatte nicht mit Fynns Schlagfertigkeit gerechnet:

„Und mir hat jemand erzählt, dass du eine sehr gute Tänzerin bist.“ Sein Blick ruhte warm und fest in ihren Augen. „Möchtest du tanzen?“

Wortlos nahm sie seinen Arm und zog ihn auf die Tanzfläche. Paola war tatsächlich eine hervorragende Tänzerin und Fynn konnte nur schwer mit ihr mithalten. Die Tanzfläche leerte sich langsam immer mehr. Bald waren Fynn und Paola die einzigen auf der Tanzfläche.

„Danke, dass du die Kette gefunden hast. Sie bedeutet mir sehr viel, weißt du“, sagte Paola nachdem sie die ganze Zeit geschwiegen hatten.

„Es freut mich, dass ich sie für dich finden durfte“, erwiderte Fynn.

„Wie bist du auf die Idee mit der Tafel gekommen?“, wollte Paola wissen.

„Ich bin auf einer meiner Reisen auch durch Italien gekommen. Dort habe ich so eine Tafel zum ersten mal gesehen. Nach der Arbeit in den Weinbergen saßen alle zusammen und haben gegessen. Das hat mich tief berührt und ich denke heute noch gerne daran zurück.“ Beide schwiegen eine Weile. Aber es war kein peinliches Schweigen.

„Und da du aus Italien kommst, habe ich mir gedacht, die Idee könnte dir gefallen“, gestand er Paola schließlich.

Sie nahm ihren Kopf von deiner Brust und schaute ihm in die Augen. „Es erinnert mich tatsächlich an mein Zuhause“, sagte sie dann. „Danke.“

Mittlerweile waren auch Boje und Vendela und kurz vor ihnen Lele und Topa zum tanzen gekommen.

„Danke, dass du die ganze Zeit zu mir gehalten hast“, sagte Lele zu Topa. Dann legte sie wieder ihren Kopf auf seine Brust und zog ihn noch ein Stück enger an sich.

Die Fackeln, die den Weg und die Tanzfläche beleuchteten waren auch ausgegangen. Nur die Tannenzapfen an den Bäumen leuchteten noch.

Als schließlich der Mond hinter den Weinbergen hervor kam, gingen auch die Kapelle und die letzten Gäste nach Hause. Tomte Tummetott und Oma Lerke standen am Fenster der Wohnstube und blickten auf die Tanzfläche.

Doch keines der drei Pärchen bemerkte etwas davon. Sie tanzten einfach weiter. Alle zusammen und jedes Paar in seinem eigenen Rhythmus. Für den Rest der Nacht gab es nur den jeweils anderen und den seltenen Moment, an dem nichts zählt, außer Freundschaft und Liebe.

23 Die Vermählung

Der Bürgermeister begrüßte das Brautpaar, die Eltern der Brautleute und die Trauzeugen. Dann blickte er Braut und Bräutigam in die Augen und nickte ihnen zu. Boje und Vendela lösten sich von ihren Eltern, traten auf einander zu und reichten sie die Hände. Gäste und Zuschauer der Trauung platzierten sich rund um die große Linde und bildeten eine Gasse für das Brautpaar. Musik setzte ein und der Bürgermeister ging mit langsamen Schritten durch das Spalier in Richtung der Dorflinde. Ihm folgte traditionell die Braut, die von ihrem Bräutigam zur Trauung geführt wurde. Den Schluss der kleinen Gruppe bildeten die Eltern der Brautleute sowie Topa und Lele, die als Trauzeugen die Patenschaft für die Ehe ihrer Freunde übernahmen. Als sie den äußeren Rand der Linde erreichten, ließen Wichtel bunte Blütenblätter aus den Zweigen regnen.

Mit dem gewaltigen Stamm der Linde im Rücken sprach der Bürgermeister zu Vendela und Boje. Er erinnerte an Traditionen, Werte und an das Versprechen, dass sie mit ihrer Vermählung eingingen.

„Reicht euch nun die Hände“, schloss er seine Ansprache.

Boje hob eine Hand und streckte sie nach vorne. Vendela legte ihre Hand in seine.

„Unter den Augen der Dorfgemeinschaft geht ihr den Bund fürs Leben ein“, sprach der Bürgermeister. Dann nahm er ein goldfarbenes Band und wickelte es symbolisch um ihre Hände.

„Mit diesem Bande seit ihr nun vermählt und seit fortan als Mann und Frau für einander bestimmt.“

An den Enden des Bandes waren zwei Ringe befestigt. Boje nahm einen Ring mit seiner anderen Hand und steckte ihn mit zittrigen Fingern an Vendelas Ringfinger.

„Mit diesem Ring gebe ich mich dir als Mann und nehme dich als meine Frau.“

Vendela nahm den anderen Ring und steckte in an Bojes Ringfinger.

„Mit diesem Ring gebe ich mich dir als Frau und nehme dich als meinen Mann.“

Unter viel Beifall und lauten Jubelrufen gaben sie sich den ersten Kuss als Eheleute. Hand in Hand schritten sie nun den selben Weg zurück zum Rande des Dorfplatzes und von dort nach Livdröm. Wieder fielen bunte Blütenblätter aus der Linde auf sie herab. Ein langer Hochzeitszug schlängelte sich durch das Dorf. Kinder sprangen herum, Anwohner riefen ihnen Glückwünsche zu und wer Lust hatte tanze zur Musik.

Vendela und Boje blieben fassungs- und sprachlos stehen, als sie Auffahrt nach Livdröm erreichten. Auch die Hochzeitsgesellschaft kam aus dem Staunen nicht heraus. Dort stand eine gewaltige Tafel, gefertigt aus einem einzigen Baum. Fynn und Boje hatten den stärksten und höchsten Baum gefällt, den sie finden konnten. Für die wuchtige Platte der Tafel haben sie den Baum der Länge nach durchgeschnitten. Getragen wurde die Platte von dicken Holzscheiben, die sie vom unteren Ende des Baumes gesägt hatten. Die Bänke zum sitzen waren auf die gleiche Weise gefertigt. Links und rechts der Tafel waren Marktbuden für Speisen und Getränke aufgebaut.

Boje und Vendela nahmen am oberen Ende der Tafel Platz.

„Sieh nur, die ganze Leute“, sagte Vendela. „Ich hätte nie gedacht, dass so viele Gäste kommen.“

„Ich hätte damit rechnen müssen“, sagte Boje.

„Liebster, damit hättest du nun wirklich nicht rechnen können“, antwortete Vendela erstaunt über die Selbstkritik ihres Mannes.

„Oh doch. Schließlich heirate ich heute die schönste Braut der Weihnachtswelt“, grinste er und gab ihr eine Kuss.

Boje hielt eine kurze Ansprache, in der er sich bei allen für das Kommen und die Glückwünsche bedankte.

„Und nun, lasst uns Essen, Trinken, Tanzen und Feiern. Danke, dass ihr diesen Tag für uns zu einem unvergesslichen Erlebnis macht. Prost!“

Die Musik fing an zu spielen und die Gäste bedienten sich an den Marktbuden mit Essen und Getränken. Wer gerade nicht mit Essen beschäftigt war setzte sich in die Wiese unter einen Baum oder machte einen Spaziergang durch die Felder, Wiesen oder den Weinberg von Livdröm. Ständig kamen und gingen Gäste.

Als die Strahlen der Sonne immer flacher auf die Hochzeitsfeier fielen, eröffneten Vendela und Boje die Tanzfläche. Die war schnell überfüllt und so wurde kurzerhand die Wiese zur zweiten Tanzfläche.

Vendela zog sich immer wieder mal zurück, um die Zwillinge zu stillen. Sie traf Lele und Paola in der Wohnstube, wo sie mit den Zwillingen auf einer Decke lagen.

Vendela setze sich zu ihnen.

„Danke. Ihr seit wirklich die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann. Die Hochzeit ist genauso, wie ich sie mir immer gewünscht habe. Die Gäste feiern ausgelassen und ungezwungen, jeder hat eine tolle Zeit und genießt den Tag auf Livdröm.“

„Wir danken dir, dass du uns vertraut hast“, sagte Lele und platzte fast vor Stolz.

22 Die letzten Vorbereitungen

Etliche Tage später waren alle Vorbereitungen abgeschlossen. Lele und Paola konnten das Brautpaar davon überzeugen, die Nacht vor der Hochzeit getrennt von einander im Weihnachtsdorf zu verbringen. So würden Topa und Fynn genug Zeit haben, um die Überraschung perfekt zu machen. Lele schlief in dieser Nacht bei Vendela und stellte ihre Stube für Vendela und die Zwillinge zur Verfügung. Boje würde bei Topa übernachten.

Am Nachmittag des Vortages der Hochzeit trafen sowohl Vendelas als auch Bojes Eltern und Geschwister auf Livdröm ein. Dort war schon alles für die Hochzeit vorbereitet und so luden die Eltern des Brautpaares die ganze Gesellschaft zum Abendessen in den Gasthof im Weihnachtsdorf ein. In dem Trubel gelang es Topa und Fynn sich unbemerkt in den Wald zu schleichen. Dort warteten schon einige Wichtel aus dem Postamt. Als die Gesellschaft dann Livdröm verlassen hatte, machten sie sich daran, den letzten Teil der Überraschung umzusetzen. Danach machten sie sich auf, um zusammen mit den anderen im Gasthof das Wiedersehen von Vendela und Boje mit ihren Familien zu feiern.

Nach dem Abendessen erhob sich Boje und klopfte mit seinem Krug auf den Tisch. Die Gespräche verstummten und er ging auf Vendelas Eltern zu und hielt ganz offiziell um die Hand ihrer Tochter an. Danach kniete er sich vor Vendela und machte ihr erneut einen Heiratsantrag. Als der Beifall verklungen war, nahmen Vendelas Eltern ihre Tochter an den Händen. Zuerst legte Vendelas Mutter eine Hand ihrer Tochter in Bojes Hand, dann Vendelas Vater. Dann sprachen sie die traditionelle Formel:

„Wir verantworten dir unsere Tochter Vendela als Frau und geben sie in deine Hände.“

Wieder brandete Jubel und Beifall auf. Damit war die Hochzeit bestätigt und die Ehe verbürgt.

Am nächsten Tag war Vendela als erste wach. Sie ging in die Küche, um das Frühstück zu richten. Nach und nach standen auch Paola, Lele und Oma Lerke auf. Als Vendelas Mutter eintraf, zogen sich Vendela, Lele und Paola mit ihr in Leles Stube zurück und kleideten sich an.

Es war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne hatte schnell den Morgennebel aufgelöst und zog nun langsam ihre Bahn am blauen Himmel.

Fast gleichzeitig machten sich zwei Gruppen auf den Weg zur Trauung. Die eine Gruppe wurde von Vendela und Lele angeführt. Dahinter gingen Familie, danach alle Verwandten und Freunde der Braut. Die andere Gruppe wurde von Boje und Topa angeführt. Auch hier folgte zuerst Bojes Familie, dann alle Verwandte und Freunde des Bräutigams.

An jeder Hütte, die sie auf ihrem Weg zur Trauung passierten, standen die Bewohner bereits am Wegesrand. Sie jubelten den beiden Gruppen zu und schlossen sich ihnen an, sobald sie an ihnen vorbei waren.

So wurden die beiden Gruppen immer größer, bis sie schließlich den Dorfplatz erreichten. Dort wartete schon der Bürgermeister und weitere Dorfbewohner. Rund um den Dorfplatz sind Läden und Geschäfte sowie Ärzte und die Ratsstube angeordnet. Dort findet auch der Markt statt. Keiner wusste, wie alt die große Linde in der Mitte wirklich war. Im Sommer spendete sie Schatten und Schutz vor Regen. Unter ihren mächtigen Ästen fanden alle Zeremonien wie Trauungen, Freisprechungen und öffentliche Versammlungen statt.

Schließlich standen sich Vendela und Boje am Rande des Dorfplatzes gegenüber. Die Trauung konnte beginnen.

21 Stammkunde und Schatzsucher

Am nächsten morgen war Paola wieder früher als gewöhnlich in der Backstube. Als Fynn die Backstube betrat räumte Paola zufällig Waren in die Auslage.

„Guten Morgen zusammen“, grüßte er freundlich wie immer. „Guten Morgen Paola“, ergänzte er erfreut.

„Guten Morgen Fynn. Das übliche?“, fragte Paola möglichst unauffällig.

Fynn nickte nur überrascht und reichte ihr seine Brotdose. Ohne zu wissen was das übliche war, packte Paola so viel sie konnte in die Dose.

„Danke“, sagte Fynn als sie ihm die Dose zurück gab. „Gibt´s heute keine Biscotti?“

„Die musst du dir verdienen“, grinste Paola. „Ich könnte deine Hilfe bei den Vorbereitungen für ein Hochzeit brauchen.“

„Das geht leider jetzt nicht, ich muss gleich los und bin sehr beschäftigt“, log er.

„Das macht nichts“, sagte Paola nüchtern. „Komm heute nach der Arbeit einfach bei Oma Lerke vorbei. Topa und Lele werden auch da sein. Weißt du wo sie wohnt?“

„Ich werde sehen, was sich machen lässt“, sagte er und verabschiedete sich.

„Danke“, sagte Paola. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ihr Holzarbeiter seit sehr zuverlässig.“ Dann ging sie in den hinteren Teil der Backstube, um mit ihrer Arbeit zu beginnen.

Am Abend saßen Lele, Topa und Paola in Paolas Stube und gingen ihre Hochzeitsliste durch.

„In der Backstube ist alles geregelt“, verkündete Paola den neuesten Sachstand.

„Der Metzger weiß auch Bescheid und hat schon zugesagt“, ergänzte Topa.

„Und die Dorfbrauerei wird ein Hochzeitsbier brauen und die Getränke liefern“, sagte Lele und hakte auch diesen Punkt auf der Liste ab.

„Dann fehlen noch der Wichtelchor und die Kapelle der Musikschule, der Tanzboden und die Tische“ zählte Lele auf, als es an die Tür klopfte.

„Das wird Fynnjard sein“, sagte Paola und stand auf. Lele und Topa sahen sich fragend an.

„Soso, Fynnjard“, sagte Lele, aber Paola ignorierte ihren Einwand.

Schließlich kam sie mit Fynnjard im Schlepptau zurück.

„Fynn hat mir erzählt, dass er alle Arten von Holzarbeit perfekt ausführen kann. Ich dachte, er kann uns bei dem Problemchen mit den Tischen und Stühlen helfen.“

„Hallo Fynnjard“, grüßten Topa und Lele.

„Hallo, bitte nennt mich einfach Fynn. Das ist einfacher.“

Dann erzählten sie ihm von den Wünschen von Boje und Vendela und warum sie die Tische aus der Aula der Schule nicht nehmen wollen.

„Den Tanzboden bekommen wir vom Frühlingsfest, die Stühle könnten wir aus der Musikschule nehmen. Nur mit den Tischen für so viele Gäste haben wir wie gesagt noch keine Lösung“, schloss Lele ihre Erklärung.

„Wie viele Gäste sind denn eingeladen?“, wollte Fynn wissen.

„Das ist das nächste Problem“, sagte Topa. „Bei uns im Dorf ist es üblich, dass zu einer Hochzeit kommen kann wer will. Boje und Vendela leben noch nicht lange im Dorf und verbringen auch die meiste Zeit auf ihrem Hof. Deshalb können wir schwer schätzen wer kommt.“

„Dann mal anders gefragt: Hat der Hof eine Auffahrt und wenn ja, wie groß ist die?“

Topa versuchte, Fynn möglichst genau die Verhältnisse auf Livdröm zu erklären.

„Das wäre perfekt, ich hab da schon eine Idee“, sagte Fynn. Dann erzählte er seinen Plan. Als er damit fertig war, schaute er in drei erstaunte Gesichter.

„Das wäre die Sensation“, jubelte Lele. Auch Paola und Topa stimmten zu und waren Feuer und Flamme für diese Idee.

Paola war zu gerührt, um etwas zu sagen. Die Idee, die Fynn vorgeschlagen hatte, erinnerte sie an die Familienfeste und die Tradition in ihrer Heimat.

„Dann ist das also geklärt. Jetzt brauchen wir nur noch das Holz dafür“, sagte Fynn.

„Das dürfte kein Problem sein“, sagte Topa. „Zu Livdröm gehört auch ein gar nicht so kleiner Wald, da werden wir bestimmt etwas finden. Und transportieren können wir das dann mit meinen Rentieren und Schlitten.“

„Perfekt“, freute sich Fynn. Dann sah er Paola an. „Hab ich mir die Biscotti jetzt verdient?“ fragte er uns grinste.

Paola stand auf ging zu dem große Regal an der Rückseite ihrer Stube. Dort stand neben der kleinen Holzkiste die ihnen Alfsgir bei ihrem Besuch in der Herberge gegeben hatte eine Dose mit Biscotti.

„Das ist die Holzkiste, von der ich dir erzählt habe“, sagte Topa zu Lele, während sich Fynn großzügig an den Biscotti bediente.

„Kann ich die Kiste mal sehen“, fragte er.

„Meine Mutter hat darin ihre Tagebücher und Briefe aufbewahrt. Es ist das einzige, was mir von ihr geblieben ist“, sagte Paola zögerlich.

„Ich interessiere mich wirklich nur für die Kiste. Das ist eine sehr schöne und handwerklich anspruchsvolle Arbeit“, sagte er.

Paola holte die Kiste, nahm Tagebücher und Briefe heraus und reichte sie Fynn.

„Sei bitte vorsichtig. Mama hat sie in ihrem Tagebuch immer ihre Schatzkiste genannt.“

Fynn betrachtete die Kiste von allen Seiten, bevor er einen Blick hinein warf. Schließlich zog er seinen Zollstock aus der Tasche und vermaß alle Seiten der Kiste. Wieder überlegte er eine Weile und streichelte mit den Fingerspitzen über verschiedene Stellen.

„Manchmal ist eine Kiste nur eine Kiste“ sagte er. Dann drückte er mit zwei Fingern von zwei Seiten an eine Ecke der Kiste. Ein leises Klicken war zu hören. Er griff mit der anderen Hand in die Kiste und nahm den Boden heraus. „Manchmal ist es aber auch eine Schatzkiste“, sagte er und lies die anderen hineinblicken. Unter dem Boden war ein flaches Fach. Darin lag ein in ledernes Päckchen.

Zögernd nahm Paola das Päckchen heraus. Vorsichtig schlug sie das Leder zur Seite. Mit Tränen in den Augen hob sie die Kette mit dem Bernsteinanhänger hoch. Bei ihrem Anblick hatten auch Lele und Topa Tränen in den Augen.

20 Der neue Alltag

Nach all der Aufregung und Erlebnissen der Freunde, kehrte langsam wieder etwas Ruhe ein. Boje und Vendela mussten lernen, zwei kleine Babys zu versorgen und trotzdem den Hof nicht zu vernachlässigen. Lele, Paola und Topa verbrachten so viel Zeit wie möglich auf Livdröm. Von Babysitten über Hausputz bis zur Hofarbeit halfen sie, wo Not am Mann war. Auch Oma Lerke machte sich immer wieder auf, um die junge Familie zu besuchen. Ihr Wissen als Kräuterfrau war Gold wert für Vendela und Boje.

Wenn Paola nicht in der Backstube oder in Livdröm war, verbrachte sie die meiste Zeit mit Oma Lerkes Büchern. Zwischen ihr und Oma Lerke hatte sich eine besondere Verbindung entwickelt. Wenn Paola frei hatte, unternahmen sie lange Ausflüge, meist rund um das Dorf. Oma Lerke zeigte Paola unzählige Plätze, an denen besondere Pflanzen wuchsen. Oft saßen sie Abends lange zusammen und diskutierten.

„Ich frage mich, ob nicht mehr Blüten von Nutzpflanzen essbar sind?“, überlegte Paola bei einer ihrer Diskussionen laut.

„Wenn du die Frucht essen kannst, dann kannst du auch die Blüte essen. Oft sind die Blüten durch den Nektar süßer, schmecken ansonsten aber wie die reife Frucht“, antwortete Oma Lerke.

„Was genau ist eigentlich eine Kräuterfrau?“, fragte Paola weiter.

„Nun, das ist ein sehr altes Wissen über das, was in der Natur wächst. Der größte Teil davon handelt von Kräutern und Heilpflanzen. Daraus machen wir einfache aber auch spezielle Mischungen für Tee, Salben, Medizin oder Tinkturen. Aber auch in der Küche, beim Backen, für Seifen oder Duftwasser setzen wir unser Wissen ein. Vielen von uns werden magische Kräfte nachgesagt, manch einer bezeichnet uns auch als Hexen.“

„Woher hast du all die Bücher?“

„Ich habe mein ganzes Leben versucht, möglichst viel Wissen anzuhäufen. Als junge Frau habe ich viele Reisen unternommen und dabei unzählige Kräuterfrauen kennen gelernt. Mit den meisten ist danach ein regelmäßiger Briefwechsel entstanden. Und daraus wiederum ist die Tradition entstanden, dass wir Kräuterfrauen unser Wissen in Briefen und Büchern an alle Kräuterfrauen weitergeben.“

Paola überlegte eine Weile. „Wieso werdet ihr als Hexen bezeichnet? Das scheint mir ein ziemlich falsches Bild zu sein. Mit eurem Wissen könnt ihr soviel Gutes tun.“

„Da hast du sicher recht“, erklärte ihr Oma Lerke. „Aber unser Wissen bringt auch eine große Verantwortung mit sich. Denke nur mal an die Folgen, wenn wir Medizin herstellen. Und wo Licht ist, da ist auch Schatten. Es gibt durchaus ein paar Kräuterfrauen, die ihr Wissen für üble Machenschaften nutzen. Dir vertraue ich. Wenn du möchtest, weihe ich dich tiefer in unsere Kunst ein. Aber das musst du nicht heute entscheiden.“

Paola war tief berührt. Das Vertrauen, dass Oma Lerke ihr entgegenbrachte tat ihr gut. Gleichzeitig spürte sie auch die große Verantwortung, die dieses Wissen mit sich bringen würde. Mehr als ein schlichtes ‚Danke‘ brachte sie nicht heraus. Doch die Worte von Oma Lerke wollten ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Oma Lerke spürte, dass es Zeit für einen Themenwechsel war.

„Wie läuft es in der Backstube?“, fragte sie, um ein möglichst unverfängliches Thema zu wählen.
„Sehr gut. Wir haben das Angebot wieder erweitert. Und ein paar neue Stammkunden haben wir auch“, freute sich Paola.

Am nächsten Tag ging Paola früher als sonst in die Backstube. Das Gespräch mit Oma Lerke hatte sie auf eine Idee gebracht. Doch sie kam nicht dazu, ihre Idee auszuprobieren. Stattdessen packte sie mit an, die frischen Waren in den Laden zu bringen. Die ersten Kunden kamen auch schon zum einkaufen. Einer von ihnen war Fynnjard.

„Guten Morgen Paola“, sagte er mit einigem Unbehagen.

„Hallo Fynnjard. Schön, dass du mal vorbeischaust“ begrüßte ihn Paola.

Ich komme doch jeden Tag, dachte Fynnjard bei sich.

„Ich habe von den Babys gehört. Es tut mir leid, dass ich deinen Freunden nicht helfen kann.“

„Es ist nicht deine Schuld“, sagte Paola.

„Ihr habt trotzdem etwas gut bei mir. Wenn ihr mal Hilfe braucht, komme ich gerne.“

„Das merk‘ ich mir“, grinste Paola. „Was bist du eigentlich für ein Geselle?“

„Ich bin Schreiner und Zimmermann. Also jede Art von Arbeit ist mir willkommen, Hauptsache es hat mit Holz zu tun. Du musst nur sagen was du brauchst, und ich baue es dir“, prahlte er, um Paola zu beeindrucken.

„Gut zu wissen. Hier, das ist für dich“ sagte sie und reichte ihm zu seiner Bestellung noch ein paar kleine Gebäckstückchen. „Das sind Biscotti, meine Spezialität.“

„Danke, und bitte nenn‘ mich Fynn. Bis bald mal.“

„Ja, bis bald mal, Fynn“, sagte sie leise, als er schon gegangen war. Erst jetzt merkte sie, dass Tante Unn neben ihr stand.

„Wer war das?“, erkundigte sich Tante Unn neugierig.

„Das? Das war Fynnjard. Ich habe ihn mit einigen meiner Biscotti bestochen, mal schauen ob er nicht zum Stammkunden wird,“ antwortete Paola.

„Das ist er doch schon längst. Er kommt jeden Tag, seit dem du nicht mehr in der Hütte der Rektorin wohnst.“

19 Keine Zeit zum Luft holen

Am nächsten Morgen saßen Oma Lerke und Paola beim Frühstück. Lele war schon ins Krankenhaus gegangen um vor der Arbeit noch Vendela zu besuchen.

„Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du mich bei dir aufgenommen hast.“

„Dafür musst du mir nicht danken. Mehr Gesellschaft wird mir gut tun. Und ich habe dich ja auch nicht ganz uneigennützig aufgenommen. Ich suche schon eine ganze Weile jemanden, an den ich mein Wissen über Kräuter, Heilpflanzen und Gewürze weitergeben kann.“

„Wie bist du da ausgerechnet auf mich gekommen?“, wollte Paola wissen.

„Tante Unn hat mir erzählt, dass du in der Backstube gerne neue Ideen ausprobierst. Die Dorfbewohner und ich auch finden immer mehr gefallen an dem was du tust. Du hast Talent und ein natürliches Gespür für die Pflanzen und ihre Verwendung. Das ist eine sehr seltene Gabe. Deswegen wollte ich dir die Möglichkeit geben, dich mit meinen Büchern zu beschäftigen. Und wenn due Gefallen daran findest, dann helfe ich dir gerne. Das hält meinen Kopf fit im Alter.“

Ein Klopfen an der Tür unterbrach die beiden Frauen. Es war Tante Unn, die sich Sorgen um Paola gemacht hatte und vor der Arbeit noch mit ihr sprechen wollte. Paola gab ihr eine kurze Zusammenfassung von dem, was seit ihrem Rauswurf passiert ist.

„Es tut mir leid, dass du das erleben musstest. Ich bin nur froh, dass es dir gut geht und du wieder Lachen kannst“, sagte Tante Unn.

Sie verabschiedeten sich von Oma Lerke und machten sich auf in die Backstube.

An diesem Morgen kam Fynnjard zum ersten mal in den Laden der Backstube, um etwas Gebäck zu kaufen.

—–

Wenige Tage später konnte Vendela mit ihren Zwillingen das Krankenhaus verlassen. Am gleichen Abend fuhren Paola, Lele und Topa nach der Arbeit nach Livdröm. Zusammen mit Topa hatte Boje in der Zwischenzeit eine neue Wiege gebaut, die groß genug für beide Babys war. Nachdem die „Zwerge“ wie sie von allen genannt wurden, im Bett waren, hatten die Freunde Zeit für ein gemeinsames Abendessen.

„Wir möchten euch sehr für die Unterstützung in den letzten Tagen danken. Vendela und ich haben ein paar wichtige Entscheidungen getroffen, die auch euch betreffen“, sagte Boje mit ernster Miene.

„Wir haben uns für die Namen entschieden“, für Vendela fort. „Unsere Tochter wird Elin heißen. Und unser Sohn wird den Namen Keld bekommen.“

„Als nächstes möchten wir euch bitten, die Paten für unsere Kinder zu werden“ erklärte Boje. „Es würde uns sehr viel bedeuten, wenn ihr, Lele und Topa die Paten für Keld werdet und du, Paola, die Patin für Elin wirst.“

Lele und Topa hatten ein wenig auf ihre Rolle als Paten spekuliert. Paola war vollkommen überrascht, freute sich aber genauso sehr wie Topa und Lele.

„Du hast von ein paar Entscheidungen gesprochen“, sagte Topa.

„Nun, da wir zwei Babys haben, werden wir als Eltern wohl noch etwas weniger Zeit haben, uns um unsere Hochzeit zu kümmern. Wir wollen sie aber auch nicht verschieben.“ Vendela machte ein kleine Pause. „Deswegen wollen wir euch bitten, für uns eine Hochzeit zu organisieren.“

„Wirklich?“, fragte Lele, die ihr Glück noch gar nicht fassen konnte. „Davon habe ich schon immer geträumt, einmal eine Hochzeit zu organisieren. Und dann noch für meine besten Freunde, das ist unglaublich.“
„Glaub es ruhig“, grinste Vendela. „Wir haben nur zwei Bedingungen. Erstens es soll eine gesellige Hochzeit werden, einfach und ungezwungen. Unsere Gäste sollen sich wohlfühlen und einfach mit uns feiern.“

„Und die zweite Bedingung?“ wollte Topa wissen.

„Die Hochzeit soll hier auf Livdröm stattfinden.“

Während Topa in Gedanken schon einige praktische Dinge organisierte, waren Lele und Paola schon mit Details über Blumen, Schmuck, Dekorationen und ihren Kleidern für die Hochzeit beschäftigt.

18 Doppelte Freude, doppeltes Glück

Am nächsten Tag packten alle bis auf Vendela mit an und halfen beim Umzug. Topa und Boje bauten ein Bett in ihrer neuen Stube und Lele half ihr, ihre Sachen zu packen.Von der Rektorin oder von Fynnjard war nichts zu sehen, während sie packten und ihre Sachen auf dem Schlitten verstauten. Paola hätte gerne mit Fynnjard gesprochen, um genauer zu erfahren, was das für Regeln waren. Oma Lerke hatte es sich nicht nehmen lassen, für die Freunde zu kochen. Nach dem Essen sagte Paola:

„Kommt mal mit, ich möchte euch etwas zeigen.“ Sie stand auf und ging voraus in ihre neue Stube. Am Fußende des Bettes stand ein großer Käfig mit ihren beiden Hasen.

„Der mit den weißen Ohren und der braunen Nase, das ist Bullg. Und die andere, mit den braunen Ohren und der weißen Nase, dass ist Mailin. Ich habe den beiden kleine Kunststücke beigebracht“, erzählte sie voller Stolz. Dann öffnete sie eine kleine Schachtel die auf einem Regal stand, nahm zwei Möhren heraus und legte sie auf den Käfig. Sofort stellten Bullg und Mailin sich auf die Hinterbeine und streckten sich in die Höhe. Mit ihren Vorderpfoten versuchten sie, an die Möhren zu kommen. Doch die Möhren passten nicht durch das Gitter. Nach einigen erfolglosen Versuchen, ließen die beiden sich auf den Boden sinken, ließen aber die Möhren nicht aus den Ausgen.

Paola nahm eine der Möhren in die Hand, und führte sie langsam von einer Seite des Käfigs zur anderen. Sofort sprangen die beiden wieder auf ihre Hinterbeine und hoppelten mit erhobenen Vorderpfoten der Möhre hinterher. Schließlich ließ Paola die Möhre über ihren Köpfen kreisen. Augenblicklich fingen Bullg und Mailin an sich im Kreis zu drehen.

„Ich nenne das den Möhrentanz“, lachte Paola. Abwechselnd ließen auch Lele, Topa und Boje die beiden Tanzen. Nach jedem Tanz gab es eine Möhre als Belohnung, und so hatte jeder seinen Spaß.

„Für mich wird es langsam Zeit“, sagte Boje. „Vendela ist schon den ganzen Tag alleine zuhause.“

„Ich fahr dich gerne noch heim“, bot Topa an.

——

Topa war schon fast wieder im Weihnachtsdorf angekommen, da raste plötzlich ein Schlitten an ihm vorbei. Aus dieser Richtung konnte der Schlitten fast nur aus Livdröm kommen und Topa bildete sich ein, dass Boje erkannt zu haben. Er schnalzte mit der Zunge und nahm die Verfolgung auf. Als der Schlitten vor ihm Richtung Krankenhaus abbog, bremste Topa, wendete und fuhr zur Hütte von Oma Lerke. Dort saßen die drei Frauen am Esstisch, tranken Tee und schienen sich prächtig zu amüsieren. Topa glaubte auch den Grund dafür zu kennen. Neben der Teekanne stand eine kleine braune Tonflasche mit drei kleinen Gläsern. Er grinste zufrieden in sich hinein, denn hier schien eine neue Freundschaft zu wachsen.

„Es ist so weit!“, rief er und konnte seine Aufregung nicht verbergen.

„Liebster, du sprichst in Rätseln“, säuselte Lele. Oma Lerke und Paola kicherten.

„Vendela! Das Baby kommt!“

Kurz darauf fuhren Lele, Paola und Topa ins Krankenhaus. Oma Lerke fand, dabei sollten die jungen Leute unter sich sein. Lele konnte es nicht schnell genug gehen. Immer wieder versuchte sie, Topa die Zügel wegzunehmen. Mit viel Mühe gelang es Topa schließlich, alle heil zum Krankenhaus zubringen. Sofort sprangen Lele und Paola vom Schlitten und eilten zu den Babystuben. Die Schwester kannte Lele und bat sie, sich um Boje zu kümmern.

„Der Arme ist völlig mit den Nerven runter. Die Babystuben sind voll und wir haben alle Hände voll mit den Müttern und den Babys zu tun“, sagte sie und eilte zurück in eine der Babystuben. Mittlerweile war auch Topa eingetroffen und sie machten sich zu dritt auf die Suche nach Boje. Schließlich fanden sie ihn in einer der Wartestuben. Dort tigerte er hin und her und führte Selbstgespräche. Sie brauchten eine ganze Weile und Leles gesamtes Wissen als Krankenschwester um ihn einigermaßen zu beruhigen.

Eine Hebamme stecke den Kopf durch die Türe. „ Ach hier seit ihr. Es ist alles gut gegangen. Ich gratuliere. Du kannst jetzt zu deiner Familie.“ Dann nahm sie Boje an der Hand und war mit ihm verschwunden, ehe Lele nach dem Baby fragen konnte.

„Was meint ihr? Junge oder Mädchen?“ fragte sie.

„Mädchen“, sagte Paola.

„Junge“, antwortete Topa.

„Typisch“, erwiderte Lele. „Boje und Vendela genau der gleichen Meinung.“

Das Warten kam ihnen ewig vor und die Zeit schien still zustehen. Nach einer Weile kam Boje zurück. Er strahlte über das ganze Gesicht, sah aber auch ziemlich mitgenommen aus.

„Und? Jetzt sag schon!“, drängelte Lele.

Boje ließ sich auf einen der Stühle fallen. „Ich… Also wir… oder besser Vendela….“ fing er an zu stammeln.

„Och, nun mach schon, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“

„Zwei. Es sind zwei. Ein Mädchen und ein Junge.“

p.s.: Herzlichen Glückwunsch an meine Geschwister Konrad und Elke. Alles Gute zum Geburtstag!!

p.p.s.: Vielen Dank an die Hasenmama, dass ich diene Lieblinge in meiner Geschichte verwenden darf!!!

17 Haustiere willkommen

Während Lele noch erstaunt dastand, reagierte Topa und nahm Oma Lerke Rentierfell und Mantel ab. Während dessen hatte Lele die Sprache wieder gefunden.

„Oma, was machst du denn hier? Ich meine, wie bist du denn her gekommen?“

Oma Lerke legte liebevoll eine Hand an Leles Wange. Dann begrüßte sie die anderen Anwesenden. Boje bot ihr eine Tasse Tee an und bat sie, vor dem Kamin Platz zu nehmen.

„Deine Mutter hat mich aufgesucht, um mich zu warnen, ich solle meinen schlechten Einfluss auf dich Lele stoppen. Nach deinem Gespräch mit deiner Mutter hatte ich kein gutes Gefühl. Und leider hat es sich bestätigt. Ihr seit Leles Freunde und ihr habt auf dem Frühlingsfest einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, deswegen habe ich mich auf den Weg gemacht, um euch vor der Rektorin zu warnen.“

„Das ist sehr lieb von Ihnen“, sagte Paola und reichte ihr den Brief. „Aber Sie sind leider zu spät gekommen.“

Oma Lerke laß den Brief, dann lies sie die Hände in den Schoß sinken.

„Das tut mir sehr leid. Ich kann mich nur für das Verhalten meiner Tochter entschuldigen. Das sie zu so etwas fähig ist, hätte ich nicht für möglich gehalten.“

Ihr Blick war traurig, als sie den Freunden reihum in die Augen sah.

„Darf sie das denn so einfach?“, fragte Vendela plötzlich. Die ganze Zeit hatte sie geschwiegen und nach einem Ausweg gesucht.

„Nun, die Hütte gehört tatsächlich ihr und sie hat sie als Unterkunft für Wandergesellen und Saisonarbeiter zur Verfügung gestellt. Jeder im Dorf weiß das“ antwortete Oma Lerke. „Die Tradition und die Bestimmungen nach denen wir Leben, erlauben ihr, mit ihrer Hütte zu machen, was sie möchte.“

„Und die Regeln der Zünfte für Wandergesellen lassen nicht viel Spielraum zu“, ergänzte Topa.

„Hat den jemand mit dem Zunftmeister gesprochen?“ wollte Paola wissen.

„Ich bin mir sicher, dass die Rektorin ihren Einfluss gelten gemacht hat. Ich kenne den Zunftmeister, er legt die Regeln sonst nicht so streng aus“, erklärte Oma Lerke.

„Dann stehen wir wieder ganz am Anfang“, fasste Paola zusammen, was sonst keiner Aussprechen wollte. „Alle unsere Pläne sind futsch.“

Oma Lerke wandte sich an Paola: „Was wirst du nun tun?“

„Auf keinen Fall werde ich in mein Dorf zurückkehren. Vorübergehend kann ich hier unterkommen, aber nur bis das Baby da ist.“

„Und ihr?“ fragte Oma Lerke Boje und Vendela. „Was werdet ihr machen?“

„Nun, wir werden versuchen, diese Saison irgendwie zu überstehen. Wir haben etwas gespart und denken, dass es reichen wird“, fasste Vendela die Situation auf Livdröm für sie zusammen.

„Ich kann mich nur nochmal für das Verhalten meiner Tochter entschuldigen….“

„Lass nur Oma, es ist meine Schuld. Sie konnte mich nicht beherrschen, also hat sie sich meine Freunde vorgenommen um mich zu brechen“, fiel ihr Lele ins Wort.

„Liebes, das darfst du nicht mal denken. Wenn dich Schuld trifft, dann mich auch. Schließlich ist sie meine Tochter und ich habe sie aufgezogen. Sicher habe ich als Mutter Fehler gemacht. Aber fr das hier ist niemand anders als deine Mutter selbst verantwortlich.“

„Deine Oma hat recht“, sagte Vendela zu Lele. „Niemanden in diesem Raum ist Schuld an dem was passiert ist. Du bist meine beste Freundin. Ich gebe dir nicht die Schuld.“

Boje und Paola stimmten ihr zu.

„Danke, dass ihr meine Freunde seit“, sagte Lele erleichtert.

Plötzlich klatschte Oma Lerke in die Hände. „So, was machen wir nun mit dieser blöden Situation?“ Alle waren überrascht von ihrem unerwarteten Tatendrang, und brauchten ein paar Augenblicke, um zu reagieren. Das dauerte Oma Lerke zu lange, deswegen packte sie die nächste Überraschung für die Freunde aus.

„Du kannst bei uns wohnen“, bot sie Paola an. Dann zwinkerte sie Paola zu und sagte:

„Natürlich nur, wenn Lele einverstanden ist.“

„Machst du Scherze? Natürlich bin ich einverstanden.“ Lele war auf einmal voller Tatendrang. „Wir könnten die Stube neben meiner für dich herrichten. Da ist mehr Platz für dich und deine beiden Hasen als du jetzt hast.“

„Das klingt fantastisch“, freute sich Paola. Doch dann bremste sie ihre Euphorie. „Was ist denn jetzt in der Stube?“

„Nur meine alten Bücher über Kräuter, Gewürze und die Heilpflanzen der Natur. Aber ich bin mir sicher, die freuen sich über deine Gesellschaft genauso wie ich“, flachste Oma Lerke.

„Sie sind eine Kräuterfrau?“ fragte Paola erstaunt.

„Ja. Ich dachte mir, dass dich das interessiert. Und bitte, nenn` mich Oma Lerke. Alle nennen mich so. Und wir wohnen ja bald zusammen, da braucht es diese förmliche Anrede nicht.“

Alle waren froh und erleichtert und fassten wieder Mut. Vor Freude hatte keiner die Frage gestellt, woher Oma Lerke eigentlich den Schlitten hatte und wer ihn gefahren hat. Auch als Oma Lerke sich auf den Rückweg machte, stellte keiner diese Frage.

Als sie außer Sichtweite waren, zog Tomte Tummetott die Kappe vom Kopf, die ihn für die Dorfbewohner unsichtbar machte.

„Das hast du gut gemacht, alte Kräuterfrau“, scherzte er.

„Du bist nicht der einzige, dem man Zauberkräfte nachsagt, alter Kobold“, grinste Oma Lerke.

16 Unverhofft kommt oft

„Hey ihr beiden, hab` ich euch endlich gefunden.“

Topa und Lele blickten in die Richtung aus der die Stimme gekommen war. Aus dem Dunkel tauchte Boje auf.

„Da seit ihr ja. Mir ist die Laterne ausgegangen und ich musste den ganzen Weg im Dunkeln zurück legen. Alles ok bei euch?“

„Ja“, antwortete Topa. „Es ist nichts passiert. Gib mir die Laterne, im Schlitten habe ich Zündstäbchen.“

Lele stand mit gesenktem Kopf da. Einerseits war sie froh, Boje zu sehen, andererseits war sie nicht bereit, ihren Freunden zu begegnen.

„Bei dir auch alles ok?“, fragte Boje und legte den Arm um ihre Schultern. Lele schüttelte den Kopf und befreite sich von seinem Arm.

Topa hatte in der Zwischenzeit die Laterne wieder entzündet.

„Prima. Jetzt lasst uns zurück nach Livdröm fahren“, sagte er und stieg hinten auf den Schlitten. Lele blieb regungslos stehen und blickte vorsichtig zu Topa.

„Was ist mit ihr?“ fragte Boje.

„Sie schämt sich wegen ihrer Mutter“, sagte Topa so leise, dass Lele es nicht hören konnte. „Sie gibt sich die Schuld an dem was passiert ist.“

Boje sprang vom Schlitten und ging ein paar Schritte auf Lele zu.

„Bitte Lele, komm mit zurück nach Livdröm. Vendela und Paola machen sich Sorgen um dich. Keiner gibt dir die Schuld. Niemand hat mit so einer Reaktion gerechnet. Bitte komm mit, wir müssen jetzt zusammenhalten, sonst hat deine Mutter ihr Ziel erreicht.“ Boje war nicht stolz auf den letzten Satz, aber er verfehlte seine Wirkung nicht.

Kurz darauf erreichten Sie Livdröm.

„Aua, meine Hand“, sagte Topa leise zu Lele als sie sich der Türe näherten.

Als sie die Stube betraten, kamen Ihnen Vendela und Paola bereits entgegen und umarmten sofort Lele.

„Alles wird gut“, begrüßte sie Vendela. „Schön, dass ihr wieder hier seit. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.“

„Das ist lieb von Euch, aber bis ins Dorf ist es nicht weit, dass hätte ich auch im Dunkeln geschafft.“

„Du bist in die falsche Richtung gelaufen“, flüsterte Paola ihr ins Ohr.

Lele riss Augen auf und lief rot an. Doch als sie sah, wie komisch Paola und Vendela die Situation fanden, viel auch die restliche Anspannung von ihr ab. Die drei Freundinnen fingen an zu Lachen. Topa und Boje sahen sich erleichtert an. Die Freundschaft hatte gesiegt.

„Es tut mir so leid“ entschuldigte Lele wiederholt bei Paola. „Was wirst du jetzt machen?“

„Nun, ein paar Tage habe ich ja noch Zeit. Mach dir keine Sorgen, ich finde schon eine Bleibe.“

„Habt ihr nicht noch Platz?“, wandte sich Lele an Vendela.

„Im Moment schon. Wenn das Baby kommt, brauchen wir die Stube. Und die Stube über der Werkstatt wollten wir erst im Sommer umbauen.“

Das daraus vorerst nichts werden würde, traute sich keiner aus Rücksicht auf Lele auszusprechen.

„Auf jeden Fall bin ich froh, dass du nicht zurück in dein Dorf gehst“, sagte Topa zu Paola.

„Eine Frau in meiner Position kann sich nicht leisten zu kneifen“, äffte sie die Rektorin nach.

Das erneute Lachen tat allen gut, wurde aber durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen.

Boje öffnete die Tür einen Spalt und blickte hinaus. Dann drehte er sich um und sagte:

„Das erratet ihr nie.“ Er trat einen Schritt zur Seite und öffnete die Tür ganz. Herein kam eine kleine Gestalt, die tief in ein Rentierfell gewickelt war.
Lele fand als erste die Sprache wieder.

„Oma?!?“

15 Vom Regen in die Traufe

Jeder brauchte ein paar Augenblicke, um zu begreifen, was eben passiert war und was das zu bedeuten hatte. Lele wagte nicht, Paola in die Augen zu schauen. Paola schleuderte abwechselnd Blitze und Flüche in alle Himmelsrichtungen. Vendela war auf das Sofa gesunken und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Topa und Boje wendeten sich ihren Freundinnen zu, um sie zu trösten. Doch Lele brauchte keinen Trost. Topa erkannte zu spät, dass weder Trauer noch Enttäuschung für Leles Tränen verantwortlich waren. Die Wut verlieh Lele ungeahnte Kräfte. Mit einem Satz sprang sie an allen vorbei ins Freie und stürmte Richtung Weihnachtsdorf. Bevor die Freunde reagieren konnten, war sie schon die lange Auffahrt hinunter gerast und im Dunkel verschwunden.

„Hol sie zurück!“ sagte Boje zu Topa. „Wir kommen hier zurecht.“

Topa schnappte sich ihre Jacken und nahm mit dem Schlitten die Verfolgung auf. Als er sie eingeholt hatte, versuchte er sie zum stehenbleiben zu überreden. Doch Lele reagierte nicht. Also gab er den Rentieren das Kommando, schneller zu laufen. Sobald er ausreichen Vorsprung hatte, stoppt er den Schlitten, sprang von seinem Sitz und stellte sich Lele in den Weg. Sie schien ihn nicht zu sehen und er brauchte seine ganze Kraft, um sie mit beiden Armen zu umklammern und zum stehenbleiben zu zwingen.

„Aaargh!!!Lass mich los!! Du sollst mich loslassen!“ schrie sie. Doch Topa lockerte seinen Griff nicht. Lele trat nach ihm und versuchte, sich loszureißen.

„Jetzt lass mich endlich los!!!Aah!! Du tust mir weh!“

Leles Kräfte schienen nicht nach zulassen und Topa bekam langsam Angst, er würde ihr wirklich weh tun. Doch schließlich wurde ihre Gegenwehr schwächer. Ihre Schreie wurden leiser und schließlich sank sie in sich zusammen. Topa setze sich auf den Boden und hielt Lele solange im Arm, bis sie vor Erschöpfung nicht mehr weinen konnte. Er war ratlos, was er jetzt tun oder sagen sollte. Also stand er auf und holte ihre Jacke und ein Rentierfell. Widerstandslos ließ sie sich die Jacke anziehen. Sobald auch er seine Jacke angezogen hatte schlang sie ihre Arme um ihn und legte ihren Kopf an seine Brust.

„Geht´s wieder?“ fragte Topa.

„Warum tut sie das? Wir haben ihr nichts getan. Paola hat ihr nichts getan.“

„Ich weiß es nicht.“

Nach einer Pause sagte Lele:

„Es ist alles meine Schuld. Ich habe alles kaputt gemacht.“

Die Überzeugung, mit der Lele plötzlich sprach, erschreckten ihn und machten ihm Angst.

„Nein, das darfst du nicht sagen, nicht mal denken.“

„Doch. Sie hat es nicht geschafft, mich nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihren Schutz nicht mehr brauche und dass meine Freunde für mich da sind.“ Lele sprach völlig ruhig und klar. „Und jetzt rächt sie sich an euch. Sie weiß genau, dass sie mich so am meisten treffen kann. Deswegen ist es meine Schuld.“

Topa wusste, dass Lele recht hatte. Und das machte ihm noch mehr Angst. Ihr nächster Satz sollte seine Angst nochmals größer werden lassen.

„Ich muss ins Dorf und das wieder gut machen.“

„Auf keinen Fall“ jappste Topa. Seine Angst wurde langsam zur Panik und seine Stimme versagte.

„Doch. Ich muss das wieder hinkriegen. Sonst lässt sie uns nie in Ruhe und wer weiß, was sie sich als nächstes ausdenkt.“

„Lass uns doch erstmal nach Livdröm fahren und in aller Ruhe nachdenken. Gemeinsam mit unseren Freunden finden wir bestimmt eine Lösung“, sagte Topa wenig überzeugend.

„Nein, ich kann nicht. Ich kann ihnen erst wieder in die Augen schauen und um Verzeihung bitten, wenn ich das ein für alle mal geklärt habe.“

„Und wie willst du das machen?“ fragte er hilflos. „Willst du vielleicht in den Krieg ziehen?“

„Wenn es ein muss, ja. Wenn sie Ärger will, dann bekommt sie Ärger.“

„Bitte Lele“, flehte Topa. „Lass uns gemeinsam nachdenken, mit unseren Freunden.“

„Ich kann nicht.“

„Warum?“

„Es ist so ungerecht, dass es mir das Herz zerreißt. Boje und Vendela sind unsere besten Freunde und Paola ist auch meine Schwester. Ich kann mit dieser Schuld nicht zurück nach Livdröm.“