Archiv der Kategorie: Adventskalender 2016

24 Alles hat ein Ende….

Lele fühlte seinen Puls. Fynn lebte. Dann tastete sie vorsichtig seinen Körper ab. Sie konnte nichts finden, außer einer Wunde an seiner rechten Seite.

„Er lebt, aber hat schon viel Blut verloren“, sagte sie zu Paola. „Wir müssen ihn vorsichtig auf den Schlitten legen.“

Zu zweit schafften sie es, Fynn auf den Schlitten zu heben. Der stöhnte, als sie ihn etwas unsanft ablegten.

„Das Zeichen“, flüsterte er. Paola beugte sich über ihn. „Was?“

„Das Zeichen“, wiederholte Fynn.

„Das Zeichen? Welches Zeichen?“, fragte Paola, die es nicht mehr lange schaffen würde, gegen die Panik zu kämpfen.

„Feuertopf…… brennender Pfeil….“, wisperte Fynn fast unhörbar. Er streckte den linken Arm aus und deutete auf den Korb mit dem Tongefäß. Dann verlor er das Bewusstsein.

„Was hat er gesagt?“, wollte Lele wissen.

Paola wiederholte die Worte Zeichen, Feuertopf und brennender Pfeil.

„Das muss das Zeichen für Topa und Jarkko sein, das sie sich in Sicherheit bringen sollen.“

Sie öffnete das Tongefäß. Darin befand sich glühende Holzkohle.

„Und jetzt?“, fragte sie.

„Such nach Pfeil und Bogen“, sagte Paola. Unter dem Fahrersitz fanden sie einen Bogen und zwei Pfeile, deren Spitze mit einem Stück Stoff umwickelt waren.

„Lass mich das machen“, sagte Paola. „Kannst du seine Blutung stoppen?“

„Zumindest vorübergehend. Ich müsste die Wunde untersuchen, damit sie nicht eitert. Aber es ist zu dunkel, ich kann nichts sehen.“

„Dafür haben wir jetzt eh keine Zeit. Stopp die Blutung. Um den Rest kümmern wir und später.“

Das einzige was Lele einfiel, war ihr Halstuch. Lele kämpfte mit sich. Wenn sie die Wunde nicht reinigte oder durch ihr Halstuch Schmutz in die Wunde kam, könnte sie anfangen zu eitern und das würde das Ende von Fynn sein.

Während dessen hatte Paola es geschafft, einen der Pfeile an der Glut zu entzünden. Sie spannte den Bogen und zielte hoch in den Himmel. Dann ließ sie den Pfeil los und sah dem Feuerschweif hinterher.

„Erledigt“, sagte sie zu Lele. „Lass uns hier verschwinden.“

„Drück das auf die Wunde“, erwiderte Lele. „Ich bringe uns hier weg.“

Im Morgengrauen erreichten sie den Gasthof. Alle waren erleichtert, sich wieder zu sehen.

Jarkko und Toni machten sich sofort daran, die Rentiere zu wechseln.

„Spart euch die Mühe. Wir müssen uns erst um Fynn kümmern. Topa, besorg` uns ein Zimmer in dem Gasthof. Wir brauchen heißes Wasser und meinen Rucksack. Jarkko und Toni, ihr tragt ihn vorsichtig hinein.“ Lele reagierte wie bei einem Notfall im Krankenhaus.

„Was kann ich machen?“, wollte Paola wissen.

„Versuch die Zutaten für eine Wundsalbe zubekommen. Irgendwas aus Oma Lerkes Büchern. Wir werden mehr Salbe brauchen, als ich dabei habe.“

Sie brachten Fynn in ein Zimmer und zogen ihm die Kleider aus. Während Lele die Wunde untersuchte und reinigte, versteckten Jarkko und Toni die Schlitten samt Rentiere.

Lele verband die Wunde, so gut sie konnte. Sie war nicht groß, dafür aber tief. Sie hoffte, das keine wichtigen Organe betroffen waren. Sie deckte Fynn zu und ging zu den anderen in die Gaststube.

„Die Wunde ist tief, aber wahrscheinlich nicht gefährlich.“

„Wahrscheinlich?“, fragte Paola.

„Es hat schnell aufgehört zu bluten. Deswegen gehe ich davon aus, dass es kein Organe und großen Blutgefäße betroffen sind.“

„Können wir ihn transportieren?“, fragte Jarkko.

„Heute nicht, wir sollten bis morgen warten. Wenn sich sein Zustand bis dahin nicht verschlechtert hat, können wir aufbrechen.“

„Dann warten wir bis morgen“, sagte Jarkko. „Esst, dann legt ihr drei euch hin und schlaft euch aus. Toni und ich halten Wache, für den Fall das wir verfolgt worden sind.“

Nach und nach viel die Anspannung von allen ab. Das Essen trug seinen Teil dazu bei, dass sie schlagartig spürten, wie erschöpft sie waren. Sie mieteten noch ein Zimmer und schliefen sofort ein.

Am nächsten morgen kontrollierte Lele Fynns Wunde. Sie hatte sich nicht entzündet. Fynn schlief immer noch die meiste Zeit. Sie verabschiedeten sich von Toni und Jarkko und traten die Heimreise an.

Lele und Topa lenkten die beiden Schlitten, Paola wich nicht von Fynns Seite. Im Kopf ging sie immer wieder alles durch, was sie auch Oma Lerkes Büchern gelernt hatte. Jedes mal wenn sie Pause machten oder durch ein Dorf kamen, suchte sie nach Kräutern, kaufte sie auf dem Markt oder bei Kräuterfrauen. Leles Wissen aus dem Krankenhaus half Paola, die richtigen Salben und Teemischungen zu finden. Auch wenn sie nicht alles Zutaten für eine optimale Behandlung bekommen konnten, erholte sich Fynn schneller als gedacht. Die Strapazen der Reise schwächten ihn jedoch wieder. Er war zwar wieder bei Bewusstsein, blieb aber schwach und schlief die meiste Zeit. Zumindest tat er so. In Wirklichkeit schloss er die Augen, um Paola nicht sehen zu müssen und um nicht mit ihr reden zu müssen. Schon bei ihrem Aufbruch war ihm die kleine Rundung an Paolas Bauch aufgefallen. Erst wollte er nicht glauben, was er da sah. Doch bei genauerem Hinsehen wuchs in ihm die schreckliche Gewissheit, dass er zu spät gekommen war. Paola war schwanger, das war nicht zu übersehen.

Sie kamen nur langsam voran und bald viel es Fynn zunehmend schwer, sich schlafend und schwach zu stellen. Aber er vermied weiter jeden Kontakt mit Paola. Wenn sie sich Nachts an ihn kuschelte, blieb er regungslos liegen. Auch ihre Küsse konnte er nicht erwidern.

Paola spürte seine Zurückweisung. Jedoch wollte sie ihn nicht drängen, nach allem was er für sie getan hatte. Auch Lele und Topa konnten sich keinen Reim auf Fynns Verhalten machen.

Die Kälte zwischen Paola und Fynn belastete schnell die ganze Gruppe. Fynn wurde zunehmend wütend, weil niemand sah oder sehen wollte, was seine Welt zum Einsturz gebracht hatte. Ihre Freude über Paolas Rettung empfand er als Verrat. Verrat an der Liebe zu Paola und an der Freundschaft zu Topa und Lele. Paola weinte viel, wenn Fynn sie nicht sehen konnte. Immer war es Lele, die sie tröstete. Als Lele das Leiden ihrer Freundin und die abweisende und schroffe Art von Fynn zu viel wurde, nutze sie eine der Pausen, um mit Fynn zu reden. Paola wollte Kräuter sammeln und Lele gab Topa ein Zeichen, sie zu begleiten.

Sie setze sich neben Fynn uns blickte ihm direkt in die Augen. Dabei versuchte sie, möglichst entschlossen zu wirken.

„Sag mir, was los ist. An deiner Verletzung kann es nicht liegen, die heilt bestens. Paola leidet wegen dir, und auch Topa und ich belastet dein Verhalten.“

Fynn schwieg.

„Wenn du schon nicht mit Paola reden willst, dann wenigstens mit mir. Schließlich habe ich die das Leben gerettet.“

Auch alle weiteren Versuche von Lele, ihn zum reden zu bringen, blieben erfolglos. Schließlich packte sie die Wut.

„Hast du sie deswegen befreit? Hast du uns alle in Gefahr gebracht, um dich jetzt wie ein gefühlloses Arschloch aufzuführen? Das ist nicht fair!“, schrie sie ihn an. „Nicht fair!“

Doch Fynn schwieg weiter. Er konnte nicht aussprechen, was er nicht wahr haben wollte und was alle anderen nicht sahen.

„Du verdammter Scheißkerl“, schrie Lele. „Du, du… du Feigling!“ Sie trommelte mit ihren Fäusten auf seine Brust.

„Feigling!“

Dann schlug sie ihm ins Gesicht und begann zu weinen. Auch Fynn begann zu weinen.

„Ich bin zu spät gekommen. Wir sind zu spät gekommen“, schluchzte er.

„Was redest du da? Wir haben sie befreit, es ist nichts passiert, was sich nicht wieder reparieren lässt.“

„Nichts passiert? Wer von uns beiden ist jetzt ein gefühlloses Arschloch? Jeder weiß doch, was passiert ist!“ Jetzt war es Fynn, der Lele anschrie.

„Och bitte, du kannst doch die Hochzeit nicht wirklich ernst nehmen? Paola wurde dazu gezwungen.“

„Hochzeit? Sie ist auch noch verheiratet?“

„Ja. Na und, was ändert das schon. Sie liebt dich, nur dich. Und du machst so einen Aufstand wegen einer erzwungenen Hochzeit. Was macht das schon. Wenn du mit ihr reden würdest, wüsstest du das.“

„Und wenn du mal die Augen aufmachen würdest, wüsstest du, dass sie schwanger ist. Und jetzt rate mal von wem! Sag mir also nicht, es ist nichts passiert! Wann wolltet ihr mir eigentlich von dieser Hochzeit erzählen, hm?“

„Schwanger? Paola soll schwanger sein?“ Lele wurde jetzt ganz still. „Davon hat sie mir nichts erzählt. Woher weißt du, dass….?“

„Nun, Frau Krankenschwester, dann sieh dir mal genau ihren Bauch an.“

„Was ist mit meinem Bauch?“, fragte Paola und trat hinter dem Schlitten hervor.

Lele starrte auf ihren Bauch. Jetzt sah auch sie die kleine Wölbung.

„Du bist schwanger?“, stammelte sie.

„Ja. Und nein.“

„Ja was denn nun?“

„Ich bin nicht schwanger. Ich nenne es Sauerkrautschwanger. Bestimmte Lebensmittel wie Sauerkraut, Lauch, Knoblauch, Erbsen, Bohnen und noch ein paar mehr verursachen einen Blähbauch. Die einzige Chance, nicht schwanger zu werden war, schon schwanger zu sein. Das wäre zwar nicht mehr lange gut gegangen, dann wäre der Schwindel aufgefallen. Aber du bist rechtzeitig gekommen um mich zu retten. Sobald ich die richtigen Kräuter habe, koche ich mir Tee, geh viel Spazieren und werde ein paar Tage heftig Furzen.“

Fynn schwieg, weil er sich schämte, und Lele schwieg, weil sie von Paola beeindruckt war. Paola kletterte zu Fynn auf den Schlitten.

„Hast du wirklich gedacht, ich bin schwanger?“

Fynn nickte nur. Paola legt sich neben ihn.

„Der einzige der, von dem ich je Kinder bekommen werde, bist du“, flüsterte sie.

Fynn legte seinen Arm um Paola und zog sie zu sich heran. Dann küsste er sie.

Lele ließ die beiden alleine und suchte Topa.

„Das hast du gut gemacht“, begrüßte er sie.

„Du hast alles gehört?“

„Nur das wichtigste. War ja auch nicht zu überhören“, grinste er.

Als sie an diesem Abend unter ihren Rentierfellen lagen, fragte Topa:

„Wie fühlst du dich?“

„Was meinst du?“

„Ich muss gerade an unser Gespräch am Fluss denken“, sagte Topa. „Hattest du das mit Abenteuer gemeint?“

„Das hier hat mir wirklich Spaß gemacht. Nicht weil es gefährlich war, sondern weil wir das gemeinsam geschafft haben. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen, je nach seinen Fähigkeiten. Wir haben einander vertraut, ihr habt mir einfach vertraut, mir und meinen Fähigkeiten. Ohne zu fragen ob ich das kann oder ob es gefährlich ist oder sonst was. Das hat mir sehr gut getan.“

„Haben wir das sonst nicht getan?“, fragte Topa.

„Vielleicht habe ich es einfach nicht gemerkt. Und ich habe nie die Möglichkeit gehabt, neue Seiten an mir zu entdecken, mal etwas ganz besonderes oder außergewöhnliches zu tun.“

„Für mich war das, was du heute getan hast, etwas außergewöhnliches“, sagte Topa.

„Aber das war doch nur, weil ich so wütend auf Fynn war.“

„Warum warst du wütend?“

„Weil er unfair zu Paola war.“

„Weil du willst, dass es den Menschen um dich herum gut geht. Deswegen bist du so hilfsbereit, deswegen kämpfst du wie eine Löwin gegen Ungerechtigkeit, deswegen bist du eine gute Krankenschwester, deswegen bist du eine ganz besondere Frau.“

„Wirklich?“

„Wirklich.“

Auf dem anderen Schlitten kuschelten Fynn und Paola. Fynn streichelte ihr Gesicht.

„Du hast viele Geheimnisse und Talente, Prinzessin.“

„Du auch, Soldat.“

——

So endet die Geschichte für dieses Jahr. Ich danke euch allen von ganzem Herzen, dass ihr wieder mit dabei wart und dass auch dieses Jahr wieder neue Leser dazugekommen sind. Ich wünsche euch allen, euren Familien und Freunden ein schönes Weihnachtsfest, ruhige Feiertage und freue mich, wenn ihr nächste Jahr wieder mit dabei seit.

Liebe Grüße

Philipp

23 Ein hoher Preis

Fynn, Topa und Paolas Familie erwarteten sie schon. Lele gab Fynn den Zettel. Der warf einen kurzen Blick hinein, dann las er laut vor:

„Morgen Nacht. Wachen in Burg außer Gefecht“

„Wachen außer Gefecht?“, fragte Topa.

„Ich denke, meine Paola wird ihrer Hexenkünste anwenden“, grinste Fynn.

Dann musste Lele erzählen, was in der Burg geschehen war. Topa platzte fast vor Stolz, doch Fynn lies ihn nicht zu Wort kommen.

„So sieht unser Plan aus“, sagte er. „Lele und Topa seht nach den Rentieren und den Schlitten; prüft, ob alles in Ordnung ist. Dann fahrt mit einem Schlitten ein paar mal um die Burg. Prägt euch die Gegend so gut es geht ein. Morgen Nacht müsst ihr euch dort im Dunkel zurecht finden. Matteo und Gaia, sorgt bitte für Proviant und Futter für mindestens 5 Tage. Heute Nacht bleiben wir wach. Wir schlafen morgen am Tag. Kurz bevor der Mond am höchsten steht, brechen wir auf. Wir befreien Paola und machen uns dann sofort auf dem Heimweg. Die ersten 3 Tage fahren wir durch.“

„Ihr habt nur ein Paar Rentiere als Ersatz“, sagte Matteo. „Ich gebe euch zwei Paar Rentiere. Eine Tagesreise von hier hat ein guter Freund ein Gasthaus. Toni wird eure Rentiere dort hin bringen und nach dem ihr gewechselt habt mit unseren wieder zurück kommen.“

Fynn sah Topa an. Der nickte und sagte: „Wenn wir heute und morgen mit den Rentieren von Matteo etwas üben können, dann können wir sie morgen Nacht einsetzen.“

„Dann machen wir das so.“

Die Vorbereitungen dauerten die ganze Nacht. Am nächsten Abend verabschiedeten sie sich von Matteo und Gaia, verteilten sich paarweise auf die beiden Schlitten und brachen auf, um Paola zu retten. Lele und Fynn saßen auf einem Schlitten, Jarkko und Topa auf dem anderen.

Topa steuerte den Schlitten auf linke Seite der Burg. Am Eckturm suchte er ein Versteck. Jarkko feuerte je einen Schuss mit den beiden Langbögen in Richtung der Burg.

„Merk dir diese Entfernung. Die Wachen haben keine Langbögen, ihre Pfeile können uns nicht erreichen. Von unserer Position aus sehen wir zwei Seiten der Burg. Du fährst mich abwechselnd an einer Seite entlang, hier her zurück und dann die andere Seite entlang. Sorge dafür, dass wir möglichst viel Krach machen und du immer mit der gleichen Geschwindigkeit fährst. Für die Wachen wird es aussehen, als ob mehrere Schützen angreifen. Das wird die Wache von der gegenüberliegenden Seite der Burg abziehen und Fynn hat freie Bahn. Sobald Fynn mit Paola in Sicherheit ist, gibt er uns ein Zeichen und wir machen uns aus dem Staub.“

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Auf der gegenüberliegenden Seite versteckte Lele den Schlitten in einer Baumgruppe.

„Sobald die Wachen von der Burgmauer verschwunden sind, bringst du mich zur Mauer. Dann fährst du zur Rückseite der Burg. Dort findest du ein kleines Tor. Binde ein Seil um den Torknauf. Das andere Ende verbindest du fest mit dem Geschirr der Rentiere. Sobald ich mit Paola an dem Tor bin, klopfen wir vier mal. Dann fahr los und reiß das Tor ein. Wiederhole den Ablauf.“

Lele gehorchte und wiederholte, was Fynn ihr gesagt hatte.

„Woher wissen Topa und Jarkko, wann sie sich in Sicherheit bringen sollen?“

Fynn deutete auf einen kleinen Korb, in dem ein Tongefäß mit Deckel lag.

„Darin befindet sich etwas Glut. Sobald wir draußen sind, schieße ich einen brennenden Pfeil in den Nachthimmel. Das ist das verabredete Zeichen.“

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Jarkko legte den ersten Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen.

„Jetzt“, sagte er und Topa fuhr los. Fynn zielte und schätze die Geschwindigkeit mit der Topa fuhr ein, dann ließ er die Sehe los. Der Pfeil flog lautlos durch die Nacht und schlug knapp neben einer der Wachen gegen die Burgmauer. Die Wache erschrak, gab aber im nächsten Moment schon Alarm. Ein paar Zinnen weiter schlug der nächste Pfeil gegen die Mauer, dann der nächste und der nächste.

„Verdammt“, rief eine der Wachen. „Wie viele sind da draußen?“

„Keine Ahnung sagte der Soldat neben ihm. Aber es ist wohl besser, du holst Verstärkung.“

Der erste Soldat nahm das Horn an den Mund und gab Alarm.

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Auf der anderen Seite hörten nicht nur die Wachen das Signal, sondern auch Fynn und Lele. Zu Leles Erstaunen verschwanden die Wachen von der Burgmauer.

„Los jetzt!“, sagte Fynn.

Am Fuß der Mauer angekommen sprang Fynn vom Schlitten, schnappte sich seine Ausrüstung und gab Lele ein Zeichen. Dann nahm er ein Seil mit einem Enterhaken und warf es über die Mauer. Kurz bevor er oben angekommen war, zog er sein Messer und hielt es zwischen den Zähnen fest. Dann schwang er sich mit einem kräftigem Ruck über die Mauerkrone. Er war alleine auf dem Wehrgang. Er suchte die Fenster ab und fand im 1. Stock, wonach er suchte. Ein hell erleuchtetes Fenster mit zurückgezogenen Vorhängen. Darin war eine Frau zu sehen. Paola. Er schloss kurz die Augen, um sich wieder zu sammeln. Dann rannte er geduckt den Wehrgang entlang. Die Tür zur Burg hatten die Wachen in der Eile offen gelassen.

Drinnen spähte er um eine Ecke und sah eine Wache auf dem Boden liegen. Paola hatte es also geschafft, das musste die Tür zu ihrem Zimmer sein. Fynn durchsuchte den bewusstlosen Soldaten, fand den Schlüssel und öffnete die Tür. Dann lagen Paola und er sich endlich wieder in den Armen. Paola weinte und auch Fynn standen die Tränen in den Augen.

„Jetzt komm“, sagte er. „Wir müssen uns beeilen.“

Sie traten hinaus auf den Gang, als drei Soldaten um die Ecke kamen. Der Graf musste den Braten gerochen haben und Verstärkung geschickt haben. Sie zogen ihre Schwerter und rannten Fynn entgegen. Der dachte nicht nach, sondern rannte einfach auf seine Gegner zu.

‚Zu Fall bringen‘ schoss es ihm durch den Kopf. Er warf sich dem ersten Soldaten vor die Füße. Der versuchte stehen zu bleiben, doch seine Kameraden rannten in ihn hinein. Alle drei stolperten über den am Boden liegenden Fynn. Der schnellte hoch, drehte sich um und packte den Soldat der ihm am nächsten lag am Kragen und zog ihn auf die Beine. Die anderen beiden hatten mittlerweile kehrt gemacht und rannten wieder auf ihn zu. Er gab dem Soldat einen kräftigen Schubs und er prallte mit einem der Angreifer zusammen. Fynn duckte sich unter dem Schwert des dritten Angreifers, packte ihm am Handgelenk und rammte ihm die Schulter in den Solarplexus. Der Soldat sackte bewusstlos zu Boden. Blieb noch einer übrig. Der stand nur ein paar Schritte entfernt. In der einen Hand hielt er sein Schwert, in der anderen ein Stillet. An der Art wie er es hielt, erkannte Fynn, dass er es mit einem erfahrenen Kämpfer zu tun hatte. Fynn zog sein Schert und griff nach seinem Messer. Doch sein Gürtel war leer. Er musste das Messer bei dem Kampf verloren haben. Nur mit dem Schwert, würde es ein schwerer Kampf werden. Der Soldat griff an. Fynn wehrte seine Schwerthiebe ab und wich gleichzeitig de Stillet aus. Lang würde er das nicht schaffen. ‚Faust auf Faust‘ dachte er sich. Er wartete bis der Soldat wieder zum Schlag ausholte. Dann schlug er mit voller Wucht gegen das Schwert seines Gegners, drehte sich blitzschnell um die Achse und trat mit voller Wucht zu. Er traf den Soldaten knapp oberhalb des linken Knies. Der ging zu Boden und Fynn lies seinen Schwertknauf auf seinen Kopf knallen. Nummer drei sank bewusstlos zu Boden.

„Los jetzt“, keucht er. „Bevor noch mehr von den Burschen kommen.“ Er packte Paola am Handgelenk und sie rannten los. Die Treppe runter und den Gang unter dem Wehrgang entlang bis sie zu einer gläsernen Tür zum Garten gelangten. Fynn schlug mit seinem Schwert die Scheibe ein und sie waren im Garten. Nur noch ein kurzes Stück bis zum Tor, dann hatten sie es geschafft.

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Lele hatte ein kleines Problem, das alte Tor zu finden. Ein noch größeres Problem hatte sie, als sie es schließlich gefunden hatte. Es war fast komplett mit Efeu bewachsen. Lele tastete nach dem Torknauf, fand aber keinen. Also begann sie, den Efeu vom Tor zu reißen. Schnell hatte sie blutige Hände, jedoch noch keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Sie suchte auf dem Schlitten nach einem geeigneten Werkzeug, fand aber nichts.

Plötzlich hörte sie Glas splittern. Das musste Fynn sein und hoffentlich war Paola bei ihm. Lele sprang vom Schlitten, und spannte eines der Rentiere aus. Sie stellte es mit dem Hinterteil vor das Tor und gab ihm einen heftigen Klaps auf das selbe. Das Ren schlug mit den Hufen aus und traf auch tatsächlich das Tor. Doch das Tor hielt. Lele wiederholte den Klaps und diesmal brach einer der Torflügel aus der Angel.

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Paola sah das Tor, aber es war verschlossen. Fynn war hinter ihr. Mit einem lauten Knall landete einer der Torflügel auf dem Boden. Sie waren frei. Sie rannte durch das Tor und fiel Lele in die Arme.

„Wo ist Fynn?“, fragte Lele. Paola drehte sich um und sah Fynn wenige Schritte vor dem Tor auf dem Boden liegen.

Sie rannten zu ihm. Als sie sich über ihn beugten, sahen sie einen dunklen Fleck auf seiner Seite. Fynn blutete.

22 Wenn das mal gutgeht….

Fynn bat Matteo darum, mit Verenas Tochter Cieli sprechen zu können. Matteo schickte einen Boten in die Burg.

Am Nachmittag erschien Cieli. Fynn und Jarkko erklärten ihren Plan, Topa und Lele hörten gespannt zu.

„Iii…. Ich kann das nicht. Auf keinen Fall könnt ihr das von mir verlangen. Wenn ich nur dran denke, wird mir schon schwindelig“, wehrte sich Cieli.

Die Freunde redeten mit Engelszungen auf sie ein, doch nichts half. Als Cieli schließlich zu weinen begann, gaben sie ihren Versuch auf. Niedergeschlagen saßen sie da und überlegten.

„Ich gehe“, sagte Lele plötzlich.

„DU?“, fragten die drei Männer im Chor.

„Wie willst du denn in die Burg kommen, geschweige denn bis zu Paola?“ fragte Jarkko. Fynn und Topa mussten an den Streit vor ihrer Abreise denken und schwiegen lieber.

„Cieli wird mich in die Burg bringen. Ich gebe mich als neue Köchin aus. Wenn ich dann drin bin, spiele ich das selbe Theater wie Cieli es machen sollte.“

„Nun seht mich nicht so entgeistert an“, sagte Lele, da keiner der anderen Anstalten machte, etwas zu sagen.

„Könnte klappen“, sagte Fynn.

Lele wandte sich an Topa: „Und du? Was sagst du?“

„Es ist gefährlich und ich habe Angst um dich. Aber ich weiß auch, dass du das, was du dir vornimmst auch schaffen wirst. Ich unterstütze deine Idee.“

„Danke“, flüsterte Lele ergriffen.

Cieli traute sich nicht nein zu sagen, nachdem Lele sich so mutig gezeigt hatte. Also stimmte auch sie zu.

Kurz darauf brachen die beiden Frauen auf, ohne zu merken, dass Jarkko ihnen folgte. Unterwegs erklärte Cieli Lele die wichtigsten Verhaltensregeln und den Weg von der Küche zu dem Zimmer in dem Paola gefangen gehalten wurde.

Die Wache am Eingang kaufte Ihnen die Geschichte mit der neuen Köchin ab und lies sie passieren. Cieli kochte Grießbrei und Lele verkleidete sich mit Schürze und Mütze als Köchin. Dann nahm sie das Tablett mit dem Grießbrei und ließ die verängstigte Cieli in der Küche stehen.

Sie ging die wenigen Stufen vor der Küche hinauf, dann den Gang nach links bis zur großen Haupthalle. Dort folgte sie der Treppe bis in den ersten Stock, bog wieder links ab und ging geradewegs auf die einzige Tür zu, vor der eine Wache stand.

„Was willst du?“, schnauzte der Soldat sie an.

„Essen für die Signora“, antwortete Lele.

„Ich hab dein Gesicht hier noch nie gesehen. Wer bist du?“

„Dein Gesicht hab ich zum Glück auch noch nicht gesehen. Und jetzt lass mich hinein.“

„Niemand darf hinein, den ich nicht kenne. Und schon gar kein freches Frauenzimmer wie du.“

„Wie du meinst. Der Graf wird enttäuscht sein, wenn die Signora ihr Lieblingsessen nicht bekommt. Er hat mich extra von weit hergeholt, um ihr das hier zu kochen. Wie war doch gleich nochmal dein Name? Er wird sich sicher bei dir bedanken wollen“, sagte Lele, drehte sich um und ging dahin, wo sie hergekommen war.

„Warte“, rief die Wache ihr nach. „Du sagst der Graf schickt dich?“

„Nein, du Dummkopf. Der Kaiser von China schickt mich“, blaffte Lele ihn an.

„Pass bloß auf, dass der Kaiser von China dir nicht dein freches Maul stoppft“, brummte die Wache und schloss die Tür auf. „Du gehst rein, stellst das Essen auf den Tisch und gehst wieder. Kein Wort zu der Signora, hast du verstanden?“

Lele nickte. Doch innerlich fluchte sie. Sie konnte Paola nicht mit Paola sprechen, wenn die Wache zuhörte.

Paola saß mit dem Rücken zur Tür am Schreibtisch und las.

„Euer Essen, Signora“, sagte die Wache bevor Lele etwas sagen konnte.

„Ich habe keinen Hunger. Nehmt es wieder mit.“

Jetzt reagierte Lele schneller als der Soldat.

„Der Graf wird enttäuscht sein, wenn ….“

„Halts Maul!!“, herrscht der Soldat sie an. „Es ist der ausdrückliche Wunsch des Grafen“, sagte er dann an Paola gewandt.

„Na gut. Stellt es dort auf den Tisch. Ich esse später.“

Lele sucht verzweifelt nach einer Möglichkeit, Paola auf sich aufmerksam zu machen. Doch der Soldat nahm ihr das Tablett aus der Hand, stellte es auf den kleinen Tisch am Eingang und schob Lele zur Tür hinaus.

„Und jetzt mach, dass du weg kommst!“

Lele blieb nichts anderes übrig als zurück zu Cieli zu gehen.

„Und?“, fragte Cieli. „Hast du mit ihr sprechen können?“

„Nein, die Wache hat das nicht zugelassen.“

Lele half Cieli beim Abspülen. Sie musste wenigstens den Schein waren, falls jemand reinkommen sollte.

Plötzlich flogt die Tür auf und die Wache von Paolas Zimmertür stand in der Küche.

„He!Du da! Los, komm mit!“ befahl er und zeigte auf Lele.

War sie etwa aufgeflogen? Lele zitterte am ganzen Leib, als sie der Wache folgte. Die Wache führte Lele zurück zu Paolas Zimmer.

„Scheinst ja ne super Köchin zu sein“, raunzte er sie an und stieß sie ins Zimmer. „Aber die Tür bleibt offen, den Anschiss will ich nicht verpassen.“

Lele wusste nicht, was sie davon halten sollte. Paola stand in der Mitte des Zimmers und funkelte sie wütend an.

„Hast du diesen Fraß hier gekocht?“ Paola zeigte auf das Tablett mit dem Teller Grießbrei.

„Nun starr hier keine Löcher in die Luft, antworte mir gefälligst.“

Lele nickte.

„Selbst die Schweine würden das nicht fressen, so ungenießbar ist das. Und du willst Köchin sein? Keine Ahnung aus welchem Loch Luca dich herausgezogen hat, aber vom kochen verstehst du dumme Gans nichts.“

Lele stand immer noch regungslos da und wusste nicht, was Paola ihr sagen wollte.

„Schwer von Begriff scheinst du auch noch zu sein. Halt hier keine Maulaffen feil, aus meinen Augen mit dem Fraß.“

Lele ging zum Tisch und nahm das Tablett. Als sie an Paola vorbeiging, packte diese sie am Arm.

„Hier, ich habe dir ein Rezept aufgeschrieben, das selbst kleine Kinder kochen können. Du gehst zum Markt, kaufst die Zutaten und kochst für mich. Und wehe du versaust das wieder, dann sorge ich dafür, dass du nie wieder als Köchin arbeiten wirst. Und jetzt verschwinde gefälligst.“

Lele nahm den Zettel den Paola ihr hinhielt, schnappte sich das Tablett und ging zurück in die Küche. Cieli nahm ihr das Tablett ab.

„Was war denn los?“, fragte sie.

„Keine Ahnung“, sagte Lele. „Paola muss mich dieses mal erkannt haben. Sie hat mich übel beschimpft und mir diesen Zettel gegeben.“

Cieli grinste. „Das sieht ganz nach Paola aus“, lachte sie.

„Das sieht ganz und gar nicht nach Paola aus, so kenne ich sie gar nicht.“

„Du bist eben nicht die einzige, die anderen etwas vorspielen kann.“

Jetzt begriff Lele, was eben passiert war. Ein Blick auf den Zettel bestätigte ihren Verdacht und die Worte von Gaia fielen ihr wieder ein, Paola nicht zu unterschätzen.

„Ich muss los“, sagte sie. „Danke Cieli. Danke, dass du uns geholfen hast, das werden wir dir nie vergessen. Du solltest morgen Nacht nicht in der Nähe der Burg sein.“

Sobald Lele außer Sichtweite der Burg war, rannte sie den restlichen Weg zurück zur Fattoria. Jarkko hatte Mühe, sie einzuholen.

„Alles ok?“, schnaufte er.

„Jaaa!“, schrie Lele und hielt den Zettel in die Luft.

21 Grießbrei gut, Alles gut

Fynn und Jarkko kehrten erst am nächsten Morgen zurück, als die anderen gerade beim Frühstück saßen.

„Wie sieht euer Plan aus?“, fragte Topa.

„Umzingeln können wir die Burg nicht“, versuchte Fynn ihm auszuweichen. „Bis jetzt haben wir noch keinen Blick in das Innere Werfen können. An ein oder zwei Stellen könnten wir die Mauer überwinden, allerdings nur, wenn die Wachen abgelenkt oder ausgeschaltet sind.“

„Gegen Mittag wird Verena hier sein. Ihre Tochter hat Paola wiedererkannt. Verena hat lange in der Burg gearbeitet. Sie sollte euch einen guten Überblick verschaffen können“, sagte Matteo. „Bis dahin könnt ihr euch noch etwas ausruhen.“

„Dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen noch Waffen besorgen und Informationen über die Wachmannschaft einholen. Gegen Mittag sind wir dann wieder zurück“, antwortete Fynn.

Diesmal war es Gaia, die antwortete:

„Auch da können wir euch helfen. Wir haben noch ein paar Waffen aus der Zeit unserer Großeltern, ein paar Kurzschwerter, Speere sowie Armbrüste und Langbogen. Die sind zwar alt, aber noch gut in Schuss.“

„Gut“, sagte Fynn. „Dann müssen wir mit diesen Waffen auskommen.“

„Dann folgt mir“ sagte Matteo.

Er führte Fynn und Jarkko zu der Scheune neben dem Haupthaus. In der hintersten Ecken befand sich ein kleiner Verschlag. Matteo zog unter seinem Hemd eine Kette mit zwei kleinen Schlüsseln hervor. Mit einem davon sperrte er das Schloss auf. An den Wänden der Kammer waren einige Regale befestigt. Darauf lagen in Leder gewickelte Bündel. Auf dem Boden standen zwei große Kisten.

„Nehmt euch was ihr braucht, dann kommt wieder nach draußen“, sagte er und verließ die Scheune.

Jarkko und Fynn breiteten die Waffen auf dem Boden aus und betrachteten sie genau.

„Was meinst du?“, fragte Fynn.

„Die Waffen sind wirklich gut in Schuss. Sogar die Sehnen der Langbogen sind noch intakt, die Klingen kann ein Schmied bis heute Abend schärfen. Einen Krieg würden wir nicht damit gewinnen, aber für einen Überfall auf eine Burg sollte es reichen.“

„Dann lass und jetzt aufbrechen. Wir hören uns im Dorf etwas über die Wachen, ihre Ausbildung und ihre Bewaffnung um. Wenn wir Glück haben, sitzt die Nachtwache noch in einer der Wirtsstuben.Dann können wir heute Nacht schon zuschlagen und Paola retten.“

Gegen Mittag waren sie wieder zurück. Verena wartet schon auf sie. Mit ihrer Hilfe gelang es Fynn und Jarkko, einen Grundriss der Burg zu zeichnen.

„Wo wird Paola gefangen gehalten?“, wollte Fynn schließlich wissen.

Verena schüttelte den Kopf. Doch Fynn gab nicht auf.

„Wo hat deine Tochter Paola gesehen?“

„Gesehen hat sie sie nicht“, antwortete Verena.

Fynn unterdrückte einen Fluch. Jarkko sprang für ihn ein.

„Woher wisst ihr dann, es sich um Paola handelt?“

„Sie hat Apfelkuchen zum Nachtisch bestellt.“

„Wir sind hier, weil irgendwer Apfelkuchen bestellt hat?“

„Es war ein spezieller Kuchen. Das Rezept kennen nur Paola, Cieli und ich.“

„Danke“, sagte Fynn. „Du hast uns sehr geholfen, jetzt entschuldige uns bitte.“

Er packte Jarkko am Arm und zog ihn fort.

„Wir sollen eine Burg wegen eines Apfelkuchens angreifen? Was für eine Scheiße läuft hier eigentlich?“

„Konzentriere dich auf die Aufgabe“, sagte Jarkko. „Was wissen wir sicher?“

Fynn zählte alles auf, was sie seit ihrer Ankunft herausgefunden hatten.

„Und was wissen wir nicht?“

„Ob es sich tatsächlich um Paola handelt und wo sie sich Nachts in der Burg aufhält.“

„Dann lass uns das jetzt raus finden. Wir brauchen die Bestätigung, dass es sich um Paola handelt und wir müssen raus finden, wo genau sie gefangen gehalten wird.“

„Na klar, ist doch ganz einfach. Am besten wir spazieren einfach in die Burg und fragen sie.“

„Das wäre in der Tat die einfachste Lösung“, sagte Jarkko trocken.

Fynn sah ihn wütend an.

„Und wie willst du das machen?“

„Mit Grießbrei“, antwortete Jarkko mit einem breiten Grinsen.

20 Ist doch schon alles verloren

Im Garten hinter dem Haupthaus stand unter einigen Olivenbäumen ein Tisch mit ein paar Stühlen. Als sie sich näherten, standen zwei ältere Personen auf und kamen ihnen entgegen.

Herzlich Willkommen. Wir freuen uns, euch kennen zu lernen, auch wenn der Anlass schrecklich ist“, sagte die Frau.

Ich bin Gaia, Paolas Mutter und das ist mein Mann und Paolas Vater Matteo.“

Herzlich Willkommen“, sagte Matteo und reichte Fynn die Hand. „Paola hat uns in ihren Briefen viel von dir erzählt. Gut, dass du hier bist.“

Sie stellten sich reihum vor. Dann bot Matteo ihnen einen Platz am Tisch an.

Bitte, setzt euch. Wir haben eine kleine Stärkung vorbereitet. Wenn ihr Hunger habt, gebe ich in der Küche Bescheid.“

Fynn lehnte dankend ab. Er wollte mit Jarkko die Burg und die Gegend darum erkunden.

Und es wäre gut, wenn wir mit der Person sprechen können, die Paola erkannt hat.“

Wir verstehen deine Eile“, sagte Matteo. „Aber auf ein Glas Wasser wird es nicht ankommen. Ihr solltet vorher noch einiges Wissen.“

Fynn bemerkte sein Unhöflichkeit und als er sah dass die anderen sich schon über die Brotzeit hermachten, gab er nach und setzte sich.

Was können sie mir über die Entführung und den Grafen erzählen?“ fragte er.

Bitte, nennt uns Gaia und Matteo. Ihr seit schließlich Paolas Freunde. Ihr wisst, dass Paola nicht unsere leibliche Tochter ist. Als wir damals mit ihr hierher zurück kehrten, haben wir sie als unsere Tochter ausgegeben. Wir hatten damals Schwierigkeiten, ein Kind zu bekommen. Im Dorf fing das Gerede schon an und die Gerüchte hätten uns schwer schaden können. Paola wuchs als unsere leibliche Tochter auf. Und da sie die erstgeborene war, war ihre Erziehung und Ausbildung darauf ausgerichtet, eines Tages die Fattoria zu übernehmen und als Oberhaupt der Familie vor zustehen. Alles das hier würde eines Tages ihr gehören. So kam es auch, dass sie schon als junges Mädchen in den besseren Kreisen verkehrte. Dort lernte sie neben den entsprechenden Umgangsformen auch die Schattenseiten, sprich die Intrigen unter den Reichen und Mächtigen kennen. Und weil unsere Familie die reichste in der Grafschaft ist, reicher als der Graf selber, war es nur normal, dass Luca, der Sohn des Grafen um sie warb. Ich weiß nicht, ob Paola ihn wirklich geliebt hat, aber er war charmant, aufmerksam und sehr einfallsreich in seinem werben. Mit der Hochzeit zwischen ihm und Paola hätte deren männlicher Nachkomme einmal die Grafschaft und unsere Ländereien geerbt. Kurz vor der Hochzeit starb der alte Graf bei einem Reitunfall während der Jagd. Die Hochzeit wurde verschoben. Luca wurde zum Graf von Cerveteri. Doch dadurch ändert sich sein Charakter, Er wurde aufbrausen, hochnäsig und aggressiv. Er quetschte das letzte aus seinen Pächtern heraus. Auch sein Verhalten gegenüber Paola änderte sich. Sie hat mir nie erzählt, was wirklich passiert ist, aber ich vermute, dass er auch ihr gegenüber handgreiflich wurde. Deswegen hat sie beschlossen, weg zu gehen. So ist sie schließlich nach einigen Stationen in eurem Dorf gelandet. Luca war wütend und hat natürlich nach ihr gesucht. Wie er sie jetzt finden konnte, wissen wir nicht. Aber wir können uns denken, warum er sie hat zurückbringen lassen. Er ist ein schlechter Graf und ein noch schlechterer Verwalter seiner Güter. Er steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Wenn er Paola heiratet und sie ein Kind bekommen, ist er gerettet.“

Wir alle machen uns große Sorgen um Paola“, sagte Jarkko als das Schweigen peinlich wurde.

Wir auch. Aber ihr dürft Paola nicht unterschätzen. Sie wird sich auf ihre Weise zu wehren wissen und Lucas Absichten so lange wie möglich verhindern. Glaubt mir, ihr wollt Paola nicht zu Feind haben“, sagte Gaia.

Danke, das beruhigt mich etwas“, sagte Fynn. „Trotzdem dürfen wir keine Zeit mehr verlieren. Komm Jarkko, wir sollten anfangen.“

Als die beiden gegangen waren fuhr Gaia fort:

Eins solltet ihr noch wissen. Die Hochzeit hat bereits stattgefunden. Wir wollten das nur nicht vor Fynn erwähnen, weil wir nicht wissen, wie er auf die Nachricht reagieren würde.“

Das wissen wir auch nicht“, sagte Lele. „Wir hielten Fynn immer für einen Wandergesellen. Seit Paola verschwinden zeigt er Fähigkeiten, die ganz und gar nicht zu einem Schreiner passen.“

19 Alles wieder gut

Am nächsten Morgen setzten sie ihre Reise fort. Der Schlaf letzte Nacht hatte allen gut getan. Lele bemerkte, dass die Spannungen zwischen Jarkko und Fynn abgebaut waren. Die beiden redeten mehr miteinander.

Es tut mir leid“, sagte sie zu Topa und legte den Kopf an seine Schulter. „Ich habe mich schrecklich benommen.“

Topa legte den Arm um sie und drückte sie fest an sich. „Kein Problem“, sagte er. „Wir hätten dir besser zuhören sollen und dich nicht ausgrenzen dürfen.“

Dann ist es ok für dich, dass ich dabei bin?“

Ich habe immer noch Angst, dass dir etwas passieren könnte. Aber du willst nun mal dabei sein und das respektiere ich jetzt.“

Ich hoffe, wir kommen noch rechtzeitig.“

Das hoffe ich auch“, sagte Topa.

Sie machten nun alle die Tage für eine Nacht Pause. Dadurch würde sich die Reise zwar um 5 oder 6 Tage verlängern, aber sie brauchten ihre Kräfte noch und Fynn hatte immer noch keine Idee, wie er Paola befreien sollte. Jarkko war ein ebenso guter Jäger wie Fynn und die Abende am Feuer entwickelten sich zu kleinen Festmahlen. Was sie nicht an Lebensmitteln nicht fangen oder angeln konnten, dass kauft Fynn wenn sie durch Dörfer fuhren.

Wie lange brauchen wir noch?“, fragte Fynn Jarkko.

Ich schätze 5 Tagesreisen. Wenn wir die letzte Rast ausfallen lassen.“

Gut, dann machen wir es so. Hast du deine Waffen noch?“

Nein, ich habe sie verkauft.“

So wie ich“, sagte Fynn.

Paolas Familie soll einen guten Schmied haben, vielleicht kann er uns zumindest Schwerter fertigen.“

Das wäre gut, mir geht nämlich langsam das Geld aus. Pfeil und Bogen müssen wir uns selber bauen. Messer haben wir.“

Ich habe gesehen, dass du heimlich Knochen, Sehnen und Federn der erlegten Tiere aufbewahrt hast. Den Rest sollten wir auf dem riesigen Landgut von Paolas Familie finden.“

Was kannst du mir über die Burg des Grafen erzählen?“, fragte Fynn.

Nicht viel. Ich kenne sie nur von außen. Es wird schwer sein, unbemerkt rein zu kommen. Der Graf kann mit wenigen Wachen die gesamte Gegend um die Burg beobachten lassen. Du kannst dich der Burg nicht nähern, ohne gesehen zu werden.“

Diese alte Frau, die euch von Paola erzählt hat, kann die uns helfen?“
„Sie arbeitet nicht mehr für den Grafen. Aber ihre Tochter arbeitet in der Burg, über sie könnten wir Paola wenigstens eine Nachricht zukommen lassen.“

Die beiden unterhielten sich noch eine Weile, dann winkte Fynn Topa und Lele zu sich heran.

Wir machen heute noch ein mal Rast. Die restliche Tage fahren wir dann durch. So sollten wir nach 5 Tagen ankommen. Dann können wir uns immer noch ausruhen.“

Und so erreichten sie schließlich das Landgut von Paolas Familie. Als erstes wurden Sie von Paolas Bruder Luca begrüßt.

Topa, ih freue mi, dih wieder zum sehe, auh wenn äh…. große Gefahr für Paola, si?“

Auch Lele wurde von ihm herzlich begrüßt:

Lele, du bis imma noh schön wie ein …. wie sagt ma?…. Wie ein Schwan, si?“ Er wandte sich an Fynn.

Du mussde Fün sein, si? Erzlih willkomme in unsere Fattoria natale. Meine Schwesda hat gemagt ein prima Kerl mit dih.“

Aber ersmal komme rein alle, Mama und Papa freue sih, euh zu sehe.“

Die kleine Gruppe folgte Luca über den Hof zum Haupthaus der Fattoria.

18 So hat jeder seine Sorgen

Die ersten Tage redeten sie nicht viel. Lele war ihr Wutausbruch immer noch peinlich, Topa war sich nicht sicher, was er ihr sagen sollte, Fynn grübelte abwechselnd über Paola nach und wie er sie retten konnte und Jarkko spürte, dass die anderen, allen voran Fynn, ihm nicht vertrauten.

Nach und nach forderte das hohe Tempo zum dem Fynn sie antrieb seinen Tribut. Durch die Müdigkeit wurde die Etappen immer kürzer und sie mussten sich häufiger abwechseln. Seine Erfahrung sagte Fynn, dass es keinen Sinn machte, jetzt schon zu viel Kraft zu verbrauchen. Sie hielten etwas abseits des Wegs und wollten über Nacht Pause machen und sich richtig ausschlafen.

Komm mal mit, ich muss dir was zeigen“, flüsterte Jarkko Fynn ins Ohr.

Fynn erhob sich und folgte Jarkko einige Schritte in den Wald. Jarkko bog einen kleinen Busch zur Seite.

Das stammt nicht von einem Tier“, sagte er und deutete auf den Boden. Im Schein des Lagerfeuers erkannte Fynn einen Kreis und ein Rechteck, die mit einem Strich verbunden waren. Er hob den Kopf und entdeckte einen nach oben abgeknickten Zweig. Tränen stiegen ihm in die Augen und er hoffte, dass Jarkko sie in der Dunkelheit nicht sehen würde. Die Zeichen konnten nur von Paola stammen. Jarkko schien also die Wahrheit gesagt zu haben. Fynn spürte eine große Erleichterung, gleichzeitig war er unheimlich stolz auf Paola.

Du scheinst dieses Zeichen zu kennen.“

Ja. Es ist ein See und eine Hütte. Dazwischen verläuft ein Steg.“

Und der nach oben geknickte Zweig ist dein Orientierungszeichen.“

Fynn nickte.

Und das andere Zeichen, wofür ist das und warum hast du es Paola verraten?“

Das habe ich nicht. Paola und ich haben diesen Ort gefunden und dort sehr glückliche Tage verbracht. Ich habe es ihr auf den Bauch gemalt. Einfach so, es war eine spontane Idee, ohne irgendeinen Hintergedanken.“

Scheint eine kluge Frau zu sein. Pass bloß auf, die sind anstrengend.“ Aber der Versuch, mit einem Scherz die Situation zu entspannen schlug fehl.

Ich muss dich das fragen, das weißt du.“ Wieder nickte Fynn und antwortete ohne das Jarkko die Frage aussprechen musste:

Wenn wir sie nicht retten können oder zu spät kommen, werde ich zerbrechen. Für immer. Wenn sie das Kind eines anderen austragen sollte, werde ich sie immer noch lieben und es wie mein eigenes Kind behandeln. Aber es wird etwas in mir zerbrechen, was nicht wieder heilen kann. Es wird die schlimmste meiner Narben.“

Danke. Du wirst es nicht bereuen“, sagte Jarkko und reichte ihm die Hand.

——–

Leles Mutter schien heute anders zu sein als sonst. Paola kam es so vor, als sei sie irgendwie fröhlich. Beim Nachtisch erfuhr Paola auch den Grund dafür.

Heute kam ein Brief, der Graf wird in zwei Tagen zurück sein. Er freut sich sehr über sein Geschenk und hat mich gebeten, mit den Vorbereitungen für die Hochzeit zu beginnen.“

Paola hielt mitten in der Bewegung inne. Verdammte Kuh, schimpfte sie sich selber. Du hast dich so sehr auf deine Spielchen mit Melodi Bo konzentriert und dich ablenken lassen.

Nun, freust du dich denn gar nicht auf deinen Gemahl? Also ich freue mich“, legte Leles Mutter nach.

Drei Tage, dachte Paola. Drei Tage, dann werde ich verheiratet. Dann wird mein Wert nur noch daran gemessen, einen Erben auf die Welt zu bringen. Sie musste jetzt schnell handeln. Der Graf würde keine Zeit verlieren, da war sie sich sicher. Sie erbrach sich auf ihren Nachtisch und musste sich auf dem Weg in ihr Gefängnis auf die Wache stützen. Wenn ihr nicht schnell etwas einfiel, dann war alles verloren, dann war sie verloren und  sie würde auch Fynn verlieren.

17 Männer sind so fies

Fynn und Jarkko gingen zurück in die Wohnstube.

Wir brauchen einen Tag für die Vorbereitungen“, sagte Fynn. „Übermorgen brechen wir in aller frühe auf. Wenn Janne und ich uns beim fahren abwechseln und ein zweites Paar Rentiere mitnehmen, können wir die Reise auf die Hälfte verkürzen.“ An Boje gewandt fuhr er fort:

Kannst du uns ein zweites Paar Rentiere leihen?“

Doch statt Boje antwortete Topa.

Wir haben das schon besprochen. Boje und ich kommen mit.“

Auf keinen Fall. Es ist gefährlich und wenn wir keine List finden, befreien wir Paola mit Gewalt. Ihr seit beide keine erfahrenen Kämpfer. Und wenn etwas schiefgeht, dann trifft es nur uns“, antwortete Janne.

Doch Fynn widersprach.

Wir könnten Topa und seinen Schlitten wirklich gut brauchen. Er ist der beste Schlittenfahrer weit und breit, seine Rentiere sind klug und sie sind ein eingespieltes Team. Falls wir entdeckt werden und schnell weg müssen, kenne ich keine bessere Lösung als Topa und seinen Schlitten.“

Einverstanden“, nickte Jarkko.

Wenn Topa mitgeht, dann komme ich auch mit“, mischte Lele sich plötzlich ein.

Nein!“, antworteten Topa und Fynn gleichzeitig.

Ach ja?“, blaffte Lele. „Das ist unfair. Ich kann fast genauso gut Schlittenfahren wie Topa. Und wenn ihr Paola mit einer List befreien wollt, dann kann eine Frau im Team nicht schaden.“

Das kann ich nicht riskieren“, sagte Fynn. „Wenn dir etwas zustößt, würde ich mir das nie verzeihen.“

Fynn hat recht“, sagte Topa. „Es ist gefährlich. Und ich kann mich besser konzentrieren, wenn ich weiß, dass du in Sicherheit bist.“

Blödsinn! Ihr wollt mich einfach nicht dabei haben, weil ich eine Frau bin. Die Frauen sollen daheim sitzen bleiben, während die Männer das große Abenteuer erleben. Das ist nicht nur unfair, das ist erbärmlich!“

Bevor einer der Anwesenden etwas sagen konnte, knallte die Tür hinter Lele ins Schloss. Topa wollte aufstehen und ihr nachgehen, doch Vendela hielt ihn zurück.

Es ist besser, wenn ich gehe“, sagte sie, nahm Leles Jacke und ging ihr nach.

Die Männer waren unter sich.

Teufel auch“, sagte Janne. „Wenn die sauer ist, dann hast du aber lange was davon.“

Sie wird sich wieder beruhigen“, sagte Topa. „Hoffe ich.“

Was ist mit dir, Boje? Kommst du mit?“, fragte ihn Fynn.

Ich habe zwei kleine Kinder, eine Frau und Livdröm. Auch wenn es mir schwer fällt, meine Familie und Livdröm sind mir noch wichtiger. Aber ihr solltet darüber nachdenken, was Lele gesagt hat und was sie ist.“

Boje hat recht“, sagte Jarkko. „Eine Frau könnte uns tatsächlich einen taktischen Vorteil verschaffen. Kann sie wirklich so gut Schlittenfahren?“

Topa nickte. „Ja. Und sie ist Krankenschwester.“

Die beiden haben recht, Fynn. Wir sollten sie bitten, mit uns zu kommen. Wir könnten sie wirklich brauchen.“

Fynn sah Topa an. „Ist das wirklich ok für dich?“

Nein, aber sie will es und ich kann es verstehen. Ihr müsst mir versprechen, sie nicht in Gefahr zu bringen.“

Und so kam es, dass einen Tag und eine Nacht später, zwei Schlitten mit je vier Rentieren das Weihnachtsdorf verließen. Auf dem einen saßen Fynn und Jarkko, auf dem anderen Topa und Lele.

Fynn trieb sie zu größter Eile an. Sie fuhren immer abwechselnd und wechselten bei jedem Halt die Rentiere. Fynn hoffte, dass Ihnen so noch genügend Zeit blieb, einen Plan zu schmieden und Paola zu befreien, bevor es zu spät war.

16 Ein erster Lichtblick

Zwischen Paola und Leles Mutter war es zu einer kleinen Tradition geworden, sich täglich zum Abendessen zu treffen. Leles Mutter ließ keine Gelegenheit aus, ihren Triumph zu genießen und ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Paola hörte zu und suchte nach Schwachstellen.

Ich frage mich, was Luca zu diesem Saustall sagen wird, wenn er zurück kommt?“

Melodi Bo sah sie fragend an.

Die Diener laufen rum wie Straßenjungs. Das Essen ist gut, aber keine Spitzenklasse, der Wein taugt höchstens zum Kochen und die Wachen sind mehr betrunken als nüchtern. Als ich hier noch die erste Dame im Hause war, herrschte mehr Strenge und Niveau.“

Nun, du kannst dich ja bald wieder darum kümmern, falls Luca dich nicht nur als Gebärmutter für seinen Erben braucht.“

Und der Garten, wie der aussieht. Ich werde ein paar Takte mit Alessio reden müssen.“

Alessio? Wer ist Alessio?“

Der beste Gärtner weit und breit“, antwortete Paola.

Ich kenne keinen Alessio. So viel ich weiß sorgen die Hausdiener mit für den Garten. Aber was kümmert mich das, ich bin ja quasi nur auf der Durchreise.“

Auch auf der Durchreise kann man für etwas Niveau beim Essen sorgen.“

Willst du etwa kochen? Du sollst ja eine ganz brauchbare Konditorin sein, aber du darfst dich gerne in der Küche probieren.“

Verena war zu meiner Zeit eine Meisterin ihres Fachs. Von ihren Kreationen schwärmen heute noch meine Gäste von damals.“

Nun, dass wird ja einige Zeit her sein. Und gutes Personal ist selten. Neulich musste ich erst die Köchin degradieren. Die dumme Gans mit ihrer riesigen Nase hat es tatsächlich fertig gebracht, ein Tablett mit kostbaren Gläsern fallen zu lassen. Jetzt schält sie Kartoffeln, da kann sie nichts kaputt machen.“

Bingo, dachte Paola. Die dumme Gans musste Cieli sein. Ein wenig ungeschickt war sie schon immer und ihre Nase war wirklich riesig. Wenn ich es clever anstelle, kann ich ihr eine Botschaft schicken.

Wirklich schade, nur Cieli konnte den Apfelkuchen so gut wie Verena. Apfelkuchen a la Paola.“

Ach bitte, was soll denn diese Schwärmerei. Aber wenn es dich glücklich macht, lasse ich sie einen Kuchen backen. Freu dich daran, solange du noch etwas zu lachen hast.“

———————–

Jarkko und Fynn standen sich gegenüber. Beide waren bis zum äußersten angespannt und beobachteten den anderen genau.

Jetzt raus mit der Wahrheit. Die Lüge von eben nehm´ ich dir nicht ab“, forderte Fynn.

Du bist schlau, das warst du schon immer. Aber es war nicht alles gelogen. Ich bin wie du auf der Flucht vor meiner Vergangenheit. Und wie du bin ich in einem Weihnachtsdorf gelandet. Nur dass es dort zwei rivalisierende Familien gibt. Einen Großgrundbesitzer und einen fast mittellosen Grafen. Die Tochter der Großgrundbesitzer sollte den Grafen heiraten. Mit ihrem Erbteil hätte der Graf ausgesorgt. Am Tag der Hochzeit verschwand die Tochter plötzlich. Keiner wusste wo sie war.“

Und was hat das mit mir und Topa zu tun?“, wollte Fynn wissen.

Die Tochter ist wieder aufgetaucht. Der Graf hat sie irgendwie gefunden und auf seine Burg bringen lassen. Er hält sie dort gefangen und wird sie zwingen ihn zu heiraten.“

Fynn wurde schwindelig. Wenn es sich bei der Frau um Paola handelte, dann war vielleicht schon alles zu spät.

Wie heißt die Tochter?“

Paola.“

Woher wissen die Eltern, dass es sich um ihre Tochter handelt? Ich gehe davon aus, dass der Graf kein Dummkopf ist und Maßnahmen getroffen hat, dass ein Plan so lange wie möglich geheim bleibt.“

Eines Tages kam eine alte Frau zum Haus der Eltern. Sie sagte, ihre Tochter würde jetzt statt ihrer für den Grafen arbeiten. Dabei habe sie die Tochter wiedererkannt.“

Und wie kommst ausgerechnet du dazu, hier aufzutauchen und den Boten zu spielen?“ Fynn war immer noch misstrauisch.

Ich saß eines Abends in der Wirtsstube. Ein Mann kam herein und stellte diskret Fragen. Dann setzte er sich zu mir an den Tisch und fragte, ob ich einen Auftrag übernehmen würde.“

Warum sollte ich dir glauben?“, fragte Fynn.

Weil ich wie du meine Vergangenheit hinter mir lassen will. Und weil ich wie du ein Mädchen kennengelernt habe, das meine Zukunft ist.“

Wie kannst du von mir und Paola wissen? Arbeitest du etwas für den Grafen?“

Nein. Ich arbeite für die Familie von Paola. Ihre Mutter hat mir aus ihren Briefen vorgelesen. Ich kenne nur einen Fynnjard der nur Fynn genannt werden will, jagen und fischen kann und sich in einem kleinen Weihnachtsdorf als Wandergeselle versteckt.“

Der Punkt ging an Jarkko.

Was hast du davon, Paola und ihrer Familie zu helfen?“

Zum einen verdiene ich ein schönes Sümmchen dabei. Zum anderen erhoffe ich mir, mich auf dem Land der Großgrundbesitzer niederlassen zu dürfen und mein Mädchen zu heiraten.“

Fynn dachte nach. Jarkko antwortete schnell und sicher. Seine Geschichte wirkte diesmal nicht erfunden. Und es war die einzige Chance, wie er Paola wiederfinden konnte.

Ich glaube dir“, sagte Fynn schließlich. „Aber ich traue dir nicht.“

Wir haben beide schreckliche Dinge erlebt. Durch unsere Hände starben viele. Wir waren nie Freunde, aber wie waren auch keine Feinde. Mir ist es ernst mit dem was ich gesagt habe. Wenn ich dir helfe, deine Paola zu befreien, legst du dann ein gutes Wort für mich bei ihren Eltern ein?“

Fynn nickte und reichte Jarkko die Hand. Es war seine einzige Chance, Paola vor einer Ehe und wer weiß vor was noch zu retten.

15 Unverhofft kommt oft

Nicht nur auf Livdröm war die Stimmung schlecht. Das ganze Weihnachtsdorf war in Sorge um Paola. Fynn streifte tagelang durch die Gegend rund um das Weihnachtsdorf und suchte nach Paola.

Doch weder er, noch die Freunde auf Livdröm hatten auch nur die geringste Spur von ihr entdeckt. Mittlerweile war die Ernte längst eingebracht und die Bäume hatten schon einen Großteil ihrer Blätter verloren.

Doch Fynn hatte keinen Blick für die schönen Farben des Herbstes. Seine Gedanken drehten sich nur um Paola. Und um die Frage, ob sie seinetwegen entführt worden war. Niemand konnte vor seiner Vergangenheit weglaufen. Und es war dumm von ihm gewesen, es zu probieren. Vor allem, wenn man so schreckliche Dinge wie er getan hatte. Er alleine war Schuld, dass Gewalt und Verbrechen im Weihnachtsdorf angekommen waren. Durch ihn hatte das Dorf nun seine Unschuld und seinen Frieden verloren. Und seine Bewohner und Paola zahlten den Preis für seinen Fehler. Wenn er Paola je wieder sehen würde, würde sie ihm dann verzeihen können? Würde er selbst sich je verzeihen können? Mit solch finsterer Miene war Fynn auf dem Weg nach Livdröm. Er wusste nicht, was er sonst hätte tun sollen. Die Entführung hatte hier stattgefunden. Also musste er hier bleiben und warten. Wegzugehen würde ihn nur noch weiter von Paola entfernen. Bis jetzt hatte er niemandem von seiner Vergangenheit erzählt. Wenn er es jetzt tun würde, würde er die Unterstützung seiner Freunde auf Livdröm verlieren. Davon war er überzeugt. Also war er zur Untätigkeit gezwungen. Für ein wildes Tier gab es nichts schlimmeres, als tatenlos dem Schicksal ausgeliefert zu sein.

Als er nur noch wenige Schritte vor der Eingangstür stand, hörte er von drinnen lautes lachen und fröhliche Menschen. Wie konnten sie fröhlich sein, wenn Paola verschwunden war? Oder war sie etwa wieder aufgetaucht? Aber dann hätten sie ihn längst benachrichtigt. Er öffnete die Tür und war sofort in Alarmbereitschaft.

Am Tisch saßen Vendela, Boje, Topa, Lele und Jarkko. Automatisch legte er eine Hand an da Messer an seinem Gürtel.

Hallo Fynn“, rief Vendela. „Darf ich dir Janne vorstellen? Er weiß wo Paola ist. Sie lebt. Ist das nicht fantastisch?“

Fynn war nicht überrascht, dass Jarkko sich unter falschem Namen vorgestellt hatte. Aber was hatte das zu bedeuten? War Jarkko ein Feind oder ein Freund? Bis er das herausgefunden hatte, war es besser, sich nichts anmerken zu lassen.

Stell dir vor, Paola wurde von einem Graf von Cerveteri entführt. Er stammt aus dem selben Dorf, in dem Paola aufgewachsen ist“ fuhr Vendela fort.

Ich danke dir sehr, dass du dich auf den weiten Weg gemacht hast, um uns die gute Nachricht zu bringen“, zwang sich Fynn zu einer möglichst freundlichen Begrüßung.

Er setzte sich an den Tisch, die Hand immer noch am Messer. „Erzähl mir bitte alles, was du weißt“, forderte er Jarkko auf.

Jarkko erzählte, dass er auf seiner Reise nach Süden in einem Dorf halt gemacht hatte. Da ihm das Geld ausging, fragte auf einem Landgut nach Arbeit. Wegen seiner Kraft und seiner Geschicklichkeit im Umgang mit Werkzeugen und bei der Jagd wurden bald die Hausherren auf ihn aufmerksam. So gewann er nach und nach ihr Vertrauen und wurde mit Sonderaufgaben betraut. Eines Tages riefen sie ihn zu einem vertraulichen Gespräch ins Haus. Die Hausherrin erklärte ihm, dass ihre Tochter Paola entführt worden war. Sie baten ihn, hierher zu reisen und ihren Cousin Topa zu benachrichtigen.

Für Fynn hörte sich die die ganze Geschichte unglaubwürdig und erfunden an. Er musste mit Jarkko alleine reden.

Wie bist du hierher gekommen?“, fragte er Jarkko. „Zu Fuß?“

Nein, draußen steht noch mein Schlitten mit den Rentieren.“

Das wenigste was ich als Dank für dich tun kann, ist deine Rentieren zu versorgen“, sagte Fynn.

Ich komme mit und hole mein Gepäck“, erwiderte Fynn.

Die beiden Männer gingen hinaus, jeder die Hand in der Nähe seines Messers.