Topa ging vom Krankenhaus direkt nach Hause. Tante Unn wartete schon auf ihn. Er erzählte kurz, was Lele passiert war und wie es ihr ging.
„Du siehst müde aus“, bemerkte Tante Unn.
„Boje hat mich mitten in der Nacht geweckt. Wir haben bis zum Morgen gebraucht, bis wir bei Lele waren. Ich werd mich jetzt auch noch ein wenig hinlegen. Heute Abend will ich dann noch mal zu Lele.“
„Vielleicht kannst du zum Essen kommen. Paola wird auch da sein.“
„Ich werd kurz vorbei schauen und Hallo sagen“, versprach Topa.
Topa wurde aus einem tiefen Schlaf gerissen, als es an seine Tür klopfte. Auf sein verschlafenes „Herein“, betrat Paola seine Stube.
„Hallo Topa. Ich bringe dir etwas zu Essen und eine Kanne Tee.“
„Wann habt ihr denn gegessen?“, fragte Topa.
„Schon vor einer ganzen Weile. Die Kinder sind schon im Bett. Du hast sehr lange geschlafen.“
„Ich will noch zu Lele und nach ihr sehen.“
„Da waren Tante und ich gerade. Es geht ihr sehr gut, auch wenn sie noch ziemlich verbeult aussieht. Sie lässt dich ganz lieb grüßen und es ist für sie ok, wenn du erst morgen früh wieder kommst“, fasste Paola den Besuch kurz zusammen.
„Ich habe dich geweckt, weil es an der Zeit ist, dir etwas wichtiges zu erzählen.“ Paola wirkte jetzt sehr ernst und angespannt.
„Dann setzen wir uns an den Tisch, ich esse und höre dir zu“, schlug Topa vor. Paola nickte.
Dann begann sie, von ihrer Familie in Italien zu erzählen und wie sie als kleines Kind dort aufgewachsen ist. Topa machte sich über das Essen her und nickte zwischendurch als Zeichen, dass er ihr zuhörte und verstand.
„Als meine Mama mich für so reif hielt, erzählte sie mir, dass sie nicht meine leibliche Mutter wäre. Sie war als junge Frau mit ihrem Mann auf einer langen Hochzeitsreise. Sie besuchten viele Weihnachtsdörfer, um von den Bewohnern dort zu lernen. Deswegen haben auch mein Bruder Toni und ich bei diesem Austausch mitgemacht. Toni, weil er Abenteuer erleben wollte, und ich weil ich heimlich hoffte, meine richtigen Eltern zu finden. Meine Mama hatte mir nämlich erzählt, sie hätte mich unter sehr traurigen Umständen in einem Wald gefunden, der nur wenige Tage von hier entfernt sein musste. Sie gerieten damals in den schlimmsten Schneesturm, den sie je erlebt hätten. Sie suchten Schutz im Wald und kamen an eine Lichtung. Dort saß eine Frau mit einem schreienden Baby im Arm an einen Baum gelehnt. Sie saß im Schnee. Die Feuerstelle war schon kalt.“ Hier musste Paola kurz schlucken. Topa bot ihr eine Tasse Tee an. Sie nahm einen Schluck und fuhr dann mit ihrer Geschichte fort.
„Das Kind schrie, aber die Frau schien überhaupt nicht darauf zu reagieren. Als meine Eltern vorsichtig näher kamen, entdeckten sie, dass die Frau in einem großen Blutfleck saß. Sie war tot. Meine Mama nahm das Baby aus ihren Armen, während mein Vater nach etwas zu essen für die kleine suchte. Sie vermuteten, dass die Frau das Kind hier im Wald zur Welt gebracht hatte, nachdem sie mit dem Schlitten einen Unfall gehabt hatte. Ohne fremde Hilfe, sei sie dann wohl nach der Geburt verblutet.“
Wieder schluckte Paola und machte eine Pause. Topa gab ihr die Zeit sich wieder zu sammeln. Auch ihn berührte das Schicksal der armen Frau.
„Und das Baby, das warst du?“, fragte Topa nach einer Weile.
„Ja“, antwortete Paola. „Meine Eltern versorgten mich. Dann begrub Papa die Frau im Wald. Dabei entdeckte er noch weitere Spuren. Die stammten von einem Mann und einem Rentier. Vielleicht des Vater des Kindes, der sich aufgemacht hatte, um Hilfe zu holen. Mama und Papa entschieden, nicht im Wald zu warten, sonder mich in die nächste Herberge zu bringen. Sie hinterließen eine Nachricht, was sie hier vorgefunden hatten und wohin sie nun gehen wollten. Dann packten die restlichen Vorräte, wickelten mich in eine Decke und Papa baute aus einem Rentierfell eine Tragetasche, die er sich um die Schultern hängen konnte. Nach einer weiteren Nacht im Freien, erreichten sie schließlich eine Herberge.“