Eine Überraschung für Lele

Topa ließ den Stift fallen und streckte sich. Er war den ganzen Abend am Schreibtisch gesessen und hatte an der Überraschung für Lele gearbeitet. Seit Tagen war er damit beschäftigt, hier und da noch kleine oder größere Verbesserungen vorzunehmen. Manches an seinem Werk gefiel ihm wirklich gut. Mit anderen Teilen war er überhaupt nicht zufrieden und veränderte sie immer wieder, bis er zufrieden war. Er wollte, das sein Werk perfekt wurde. Schließlich wollte er es Lele genau an dem Tag schenken, an dem sie sich letztes Weihnachten zum ersten mal geküsst hatten.

Seit diesem Kuss hatte sich sein Leben komplett geändert. Obwohl er immer noch als Nikolaus arbeitete, immer noch in der kleinen Wohnung über seinem Stall wohnte und auch sonst alles genauso war, war doch alles anders. Nur durch Lele. Sie hatte nicht nur ihn verzaubert, sondern sein ganzes Leben verändert. Noch glücklicher als er jetzt war, würde er wohl nie mehr werden. Zumindest konnte er sich das nicht vorstellen. Glück im Überfluss hatte er in sein Tagebuch geschrieben. Aber wer weiß schon, welche Überraschungen das Leben für ihn noch bringen würde.

Mit dieser Überraschung wollte er sich einfach bei Lele bedanken und ihr sagen, wie sehr er sie liebte. Deswegen musst es perfekt sein.

*

Unten im Stall lagen Klus und Kent im Stroh und warteten auf ihr Abendessen. Die beiden alten Rentiere waren mürrisch und machten ihrem Ärger Luft.

Seit diese Lele aufgetaucht ist, sind wir Alten auf dem Abstellgleis“, maulte Klus.

Ja“, pflichtete ihm Kent bei. „Am Anfang fand ich sie ja ganz sympathisch. Und Schlittenfahren kann die, mein lieber Mann. Aber das wir nun auf dem Abstellgleis enden, das haben wir nicht verdient.“

In einer anderen Ecke des Stalls lagen Baja und Belia im Stroh und verputzten einen Haufen frisches Heu.

Oh man, jetzt hör dir die beiden Miesepeter an“, sagte Baja. Die beiden jungen Rentiere kannten dieses Gespräch zwischen Klus und Kent schon auswendig. Jedes mal, wenn die beiden Alten mal nicht pünktlich ihr „Gnadenbrot“, wie sie es nannten, bekamen, fühlten sie sich ins Abseits gedrängt. Und die „Schuld“ dafür gaben sie Lele. Dabei mochten die beiden Lele genauso sehr wie Belia und Baja.

Als nächstes kommt wieder die Geschichte mit dem Wirtshaus“, stimmte Belia ihrer Schwester bei. Die beiden hatten sich einen Spaß daraus gemacht, zu raten, wer von den beiden von dieser Nacht erzählen würde. „Ich tippe auf Klus“, sagte Belia. Baja nickte als Zeichen, dass sie mit einer kleinen Wette einverstanden war.

Genau. aber dann hatt sie sich immer mehr zwischen uns und Topa gedrängt. Als er uns letztes Weihnachten über Nacht vor dem Wirtshaus hat stehen lassen, hab ich mir noch nichts dabei gedacht. Und jetzt liegen wir hier und müssen hungern. In dieser Nacht hat alles angefangen.“

Baja blickte ihre Schwester triumphierend an und freute sich schon auf eine Extraportion Moos. Das war ihr üblicher Einsatz. Die Verliererin musste einen Teil ihres Abendessens, das im Winter normalerweise aus frischem Heu und etwas Moos bestand, abgeben. Irgendwann hatten sie sich mal auf das Moos geeinigt. Sie bezeichneten es als ihren Nachtisch.

Da schuften wir ein ganzes Rentierleben lang, und dann wird man fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel“, jammerte nun Klent.

Baja wurde es zu bunt, sie hatte einfach keine Lust, sich wieder den ganzen Abend das Gejammer der beiden anzuhören. Heu gab es immer genug. Sie trabte hinüber und legte sich zwischen die beiden. Da alle Rentiere, wie jeden Herbst, ihre Hörner verloren hatten, konnten sie sich auch nicht damit verhaken. Sie blickte die beiden möglichst traurig an und seufzte herzzerreißend. Das klappte bei männlichen Rentieren immer. Und prompt fiel Klus auf ihren Trick herein.

Aber Baja, was hast du denn?“, fragte er.

Ach,“ seufzte Baja, „die Welt ist ja so ungerecht¨.

¨Das bildest du dir bestimmt nur ein.¨

¨Nein, die Welt ist ungerecht. Das ganze Leben ist ungerecht¨.

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