In der Backstube

Als Topa am nächsten Tag seine Tour erledigten hatte, fuhr er direkt nach Hause, tauschte den großen gegen den kleinen Schlitten und machte sich auf zur Backstube. Tante Unn wartete schon auf ihn. „Schön, dass du schon da bist“, begrüßte sie ihn. Bevor Topa etwas sagen konnte, strömte eine Schar Wichtel herbei und packte Kisten Plätzchen, Lebkuchen und andere Leckereien in den Schlitten. So schnell wie die kleinen Kerle aufgetaucht waren, so schnell waren sie auch wieder verschwunden.

Komm rein“, sagte Tante Unn. „Ich hab Tee für dich gemacht.“ Topa kletterte vom Schlitten und war froh, dass er sich eine kleine Pause gönnen konnte. Die Backstube war sein Lieblingsort im Weihnachtsdorf. Hier duftete es immer nach frisch gebackenem Kuchen und Brot und allerlei süßen Köstlichkeiten. Aber wenn Weihnachten war, dann steigerten sich die einzelnen Düfte zu einer einzigartigen Komposition, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lies. Dann duftete es nach Plätzchen, Lebkuchen, Stollen, Schokolade. Das war für ihn der Duft von Weihnachten. Topa blieb stehen, schloss die Augen und versuchte, so viele Düfte wie möglich zu erkennen. Als Junge war er oft nach der Schule zu Tante Unn in die Backstube gekommen. Gemeinsam haben sie dann neue Rezepte ausprobiert und neue Wege und Möglichkeiten gesucht, die einzelnen Zutaten mit einander zu kombinieren. Tante Unn hatte so ihre Fähigkeit zu Backen immer weiter verfeinert und wunderbare, neue Köstlichkeiten erfunden. Für Topa war es ein Spiel gewesen, bei dem er mit kindlicher Neugier immer neue Dinge entdecken konnte. Manchmal musste Tante Unn ihn bremsen, er hätte den ganzen Tag in der Backstube verbringen können. In Gedanken war er wieder in seiner Kindheit. Als er mit der Schule fast fertig war, hatte er soviel Erfahrung in der Backstube gesammelt, dass Tante Unn ihn immer öfter alleine neue Rezepte ausprobieren lies. Bald hatte sich sein Talent und seine Kreationen in der Backstube herumgesprochen. Nicht alles, was er ausprobierte gelang ihm, manche Rezepte waren beim ersten mal schlicht ungenießbar. Aber Topa gab nicht auf. Er probierte solange weiter, bis Alle in der Backstube zustimmend nickten. Das Vertrauen, dass Tante Unn dabei in ihn setzte, die Aufmunterung und Anerkennung durch die Mitarbeiter in der Backstube – auch wenn etwas nicht gelungen war – hatten ihn unheimlich stolz gemacht. Damals hatte er gelernt, dass nicht alles perfekt sein musste und das Misserfolge einfach dazu gehörten; oft hatten sie gemeinsam sogar über misslungene Versuche gelacht. Er war ein Teil der Gemeinschaft in der Backstube, auch wenn er offiziell gar nicht dazugehörte und nicht Alles perfekt war.

Ein ganz bestimmter Duft holte ihn wieder zurück ins Jetzt. Es waren „seine“ Lebkuchen. Wie konnte das möglich sein? Das Rezept kannte nur er. Tante Unn sah ihn liebevoll an. „Ich war so stolz auf dich, dass ich dich oft beobachtet habe. Ich hatte damals noch keine eigenen Kinder, aber ich spürte, wie stolz eine Mutetr auf ihre Kinder sein konnte.“

Und dabei hast du dir zufällig das Rezept gemerkt?“, entgegnete Topa ironisch.

Na hör mal“, sagte Tante Unn mit gespielter Empörung. „Bin ich nun die Chefin der Backstube oder nicht?“ Beide fingen an zu lachen. Dann setzten sie sich an den Tisch in Tante Unns Büro und tranken Tee; Topa verschlang die Lebkuchen und Tante Unn erzählte von den neuesten Streichen von Orge und Ove. Nach einer Weile machten Sie sich auf den Weg zur Musikschule.

Nachdem sie die Chefin der Musikschule begrüßt hatten, verschafften sie sich einen Überblick und begannen, den Schlitten auszuladen. Topa trug die beiden Tische für den Plätzchenstand und die schwereren Kisten mit dem Geschirr, einige Musikschüler kümmerten sich um die leichteren Kisten.

Als sie fertig waren, parkte Topa den Schlitten hinter der Musikschule und gab den Rentieren etwas Heu und Wasser. Dann packte er die letzte Kiste und ging durch den Hintereingang zurück in die Musikschule.

Im großen Saal angekommen, bliebt er so plötzlich stehen, als wäre er gegen einen Baum gelaufen. Fast hätte er die Kiste fallen lassen.

Aber es war kein Baum. Ein paar Schritte vor ihm stand Lele.

p.s.: Ich konnte Topa überreden, uns sein Lebkuchenrezept zu verraten 🙂

Leider funktioniert der Link nicht; ich stell das Rezept als extra Beitrag ein; LG Phil

Ein Gedanke zu „In der Backstube

  1. Hallo Phil,

    der tägliche Gang ist sofort an den PC und gleich die neue Geschichte ausdrucken und lesen. Das bisher gesammelte Werk liegt bei uns in der Stube und der Besuch liest sie
    begeistert. Heute habe ich mich in der Geschichte selbst gespiegelt, ein Teil meiner Kindheit.

    Gruß Christine

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