Sauer oder nicht sauer

Lele lag im Schnee, eingeklemmt unter dem Schlitten. Ihr Bein tat höllisch weh, sobald sie eine falsche Bewegung machte. Nach einer Weile wurde ihr kalt. Sie suchte mit den Händen nach dem Rentierfell und bekam es tatsächlich zu fassen. Der Versuch, das Fell unter ihren Körper zu ziehen war begleitet von einigen schmerzhaften Bewegungen. Aber schließlich hatte sie es geschafft. Nun konnte sie nur hoffen, dass einer der Nikoläuse sie hier zufällig finden würde. Sie schimpfte mit sich selber. Ihre Idee kam ihr jetzt gar nicht mehr so toll vor. Sie war wütend, weil sie sich so dumm verhalten hatte. Auch der Streit mit ihrer Mutter war völlig falsch und sie wollte ihn nicht mehr als Ausrede für ihren Ausflug gelten lassen. Es war schlicht und einfach ihre Neugier gewesen, die sie in diese Lage gebracht hatte.

Je länger sie bewegungslos unter dem Schlitten lag, umso mehr schwand ihre Hoffnung. Die Schmerzen in ihrem Bein wurde schlimmer. Die Hilflosigkeit, die Dunkelheit und die Scham über ihre Dummheit und ihr Missgeschick machten ihr Angst. Sie dachte nicht an ihre Rettung, sondern an das danach. Wie würde Topa reagieren? Sie hatte seinen Schlitten und seine Rentiere geklaut. Den Schlitten hatte sie gegen einen Baum gefahren und was mit den Rentieren bei dem Unfall passiert war wusste sie nicht. Sie hatte Topas Vertrauen missbraucht und mit ihrer Dummheit auch ihre Freunde enttäuscht. Sie war nicht nur alleine hier gefangen, sie fühlte sich auch so. Schließlich begann sie zu weinen. Irgendwann gewann die Müdigkeit die Oberhand und Lele schlief ein. Sie träumte, die Gestalten aus dem Dorf der Menschen hätten sie erwischt und in einen dunklen Raum gesperrt. Sie rief immer wieder nach Hilfe, aber niemand antwortete ihr. Die Wände ihres Gefängnisses schienen sich langsam auf sie zu zu bewegen. Der Raum wurde immer kleiner. Sie konnte nichts dagegen tun und ihre Schreie waren nur noch lautlose Grimassen auf ihrem Gesicht. Die Wände schienen immer noch näher zu kommen. Da fiel ein schwaches Licht aus einer der Ecken auf sie. Dann hörte sie eine Stimme. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, aus welcher Richtung die Stimme kam. Da, da war wieder die Stimme. Und sie rief ihren Namen. Sie wollte antworten, brachte aber keinen Ton hervor. Wenn sie sich etwas streckte, konnte sie vielleicht mit einer Hand gegen die Wand schlagen und so auf sich aufmerksam machen. Sie streckte den Arm aus. Der Schmerz in ihrem Bein brachte sie zurück aus der Traumwelt. Sie öffnete die Augen und sah, wie der Schlitten von einer unsichtbaren Kraft hochgehoben wurde. Da erst wurde ihr bewusst, dass es Topa war, der ihren Namen rief. Freunde und Scham wechselten sich in ihr ab.

Topa, du hast mich gefunden. Es tut mir so leid“, brachte sie mit schwacher Stimme hervor. Dann verlor sie das Bewusstsein.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie im Krankenhaus. Topa saß an ihrem Bett und hielt ihre Hand. Und auch Vendela war da.

Hey, wie fühlst du dich?“ fragte Topa.

Ziemlich mies“, gab Lele zu. „Aber ich bin froh, dich zu sehen.“

Dir ist nichts schlimmes passiert. Nur ein paar blaue Flecken, einige Kratzer und ein gebrochenes Bein“, sagte Vendela. „Aber ich glaub, ich lass euch beide jetzt mal alleine. Schön, dass du wieder wach bist. Wir kommen morgen vorbei und sehen nach dir.“

Als Vendela die Tür hinter sich ins Schloss zog, herrschte für einen Moment betretenes Schweigen.

Wie habt ihr mich eigentlich gefunden?“, wollte Lele wissen.

Das Geschirr von Belia ist bei dem Unfall komplett von dem Schlitten abgegangen. Sie ist dann zu Boje gelaufen und der hat mich dann informiert. Dann hat Belia uns zu dir geführt. Aber wie bist du eigentlich dahin gekommen?“

Lele erzählte Topa von dem Streit und ihrem Abenteuer. Sie vermied es dabei, ihm in die Augen zu sehen.

Ich bin nur froh,“ sagte Topa als Lele fertig war, „dass dir nichts passiert ist.“

Es tut mir so leid. Bitte verzeih mir. Ich hätte das nicht tun dürfen. Aber ich war so wütend und enttäuscht, dass ich wohl einfach nicht mehr klar denken konnte. Ich schäme mich so dafür und kann verstehen, wenn du von mir enttäuscht bist.“

Ich hab mir schon lange gedacht, dass du eines Tages einen Ausflug zu den Menschen machen würdest. Du hast so viele Fragen über die Menschen gestellt, da lag die Vermutung nah. Und du hast deinen eigenen Kopf und jede Menge Temperament. Das macht dich zu der Frau, die ich liebe. Deswegen bin ich nicht enttäuscht. Nur ein bisschen traurig, dass du mich nicht mitgenommen hast.“

Du bist wirklich nicht böse auf mich?“, fragte Lele.

Nein, denn ich liebe dich. So einfach ist das. Allerdings werd ich lernen müssen, wie man einen Schlitten baut, der deinen Fahrstil aushält“ sagte Topa und beide mussten lachen.

Du bist ein wundervoller Mann“, antwortete Lele. „Ich liebe dich!“

Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile. Dann wurde Lele müde und Topa verabschiedete sich mit dem Versprechen, möglichst schnell wieder bei ihr zu sein.

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