Seit dem Zwischenfall auf dem Weihnachtskonzert des Wichtelchors hatte Lele jeden Kontakt zu ihrer Mutter vermieden. Lele tat es leid, dass sie so aufbrausend reagiert hatte. Es wollte ihr einfach nicht in den Sinn kommen, warum ihre Mutter alles und jeden herumkommandieren wollte und warum alles nach ihren Vorstellungen laufen musste. Wenn es das nicht tat, hagelte es Kritik. Sie schämte sich dann für ihre Mutter. Durch die gekünstelte und hochgestochene Art zu reden, wirkte ihre Mutter sehr bissig und konnte andere wirklich hart treffen. Und was sie selbst anging, wünschte sie sich wenigstens mal nicht kritisiert zu werden. Auf echte und ehrliche Anerkennung wagte sie schon nicht mehr zu hoffen. Und das nun auch noch Topa die meiste Kritik ab bekam, war einfach zu viel für Lele. Topa schien das alles bei weitem nicht so viel auszumachen wie ihr. Vielleicht lag es auch daran, das Topas Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen sind, als Topa noch sehr klein war. Bei Tante Unn und Onkel Pelle aufzuwachsen, war bestimmt etwas anderes. Und deswegen wollte oder konnte sie mit Topa nicht darüber sprechen.
Ohne zu klopfen, trat plötzlich ihre Mutter in ihr Zimmer.
„Kindchen, da bist du ja.“
Lele sackte in sich zusammen. Das konnte sie jetzt gar nicht gebrauchen.
„Ich wünsche dir auch einen guten Abend. Komm ruhig rein.“
„Bitte, Liebes. Du brauchst nicht gleich zynisch zu werden. Oder willst du, dass deine Mutter sich Sorgen machen muss?“
Da war sie wieder, diese beißende Kritik in fast jedem Satz. Und wieder traf sie.
„Mama, was willst du? Ich bin müde und wollte gerade ins Bett.“
„Kindchen, wir müssen über diesen Topa reden. Das ist doch kein Umgang für dich. Was findest du nur an diesem Kerl? Mit so einem wirst du es nie zu etwas bringen.“
Das hat gesessen. Aber Lele war zu müde und wollte nicht schon wieder mit ihrer Mutter streiten. Sie beschloss, nicht zum Angriff über zu gehen. Wenn sie einfach nur zuhörte und die Fragen stellte, die ihre Mutter hören wollte, würde sich das drohende Gewitter vielleicht einfach wieder verziehen.
„Und zu was soll ich es deiner Meinung nach bringen“, fragte Lele.
„Also Kindchen, das hab ich dir doch nun oft genug erklärt. Natürlich brauchst du einen Mann, der dir eine gesellschaftliche Stellung und Ansehen ermöglicht. Du hast ja keinen entsprechenden Beruf dafür. Mit einem anständigen Mann, der dir das auch bieten kann, wirst du auch aufhören ständig zu grübeln. Ansehen und eine ordentliche Stellung, das sind die Grundpfeiler für Glück.“
„Dann musst du ja sehr glücklich sein,“ murmelte Lele.
„Kindchen bitte, sprich deutlich mit deiner Mutter.“
„Für mich sind andere Sachen wichtig, um glücklich zu sein“, sagte Lele und war kurz davor, zu explodieren.
„Und was bitte soll das sein? Schlitten fahren?“
„Zum Beispiel“, gab Lele trotzig zur Antwort. „Ich möchte nicht mein Leben damit vergeuden, Dingen hinter her zu rennen, die mir nichts bedeuten.“
„Kindchen bitte, verschone deine Mutter mit diesem Quatsch. Vertrau meiner Erfahrung, dann wirst du schon sehen. Eine Mutter weiß sehr genau, was eine Tochter braucht.“
„Manchmal habe ich das Gefühl, du kennst mich gar nicht. Du redest nicht mit mir, du hörst mir nicht zu. Du weist nicht, welche Gedanken mich beschäftigen. Woher willst du also wissen, was ich brauche? Da kennen mich andere wesentlich besser als du.“ Kaum hatte sie den letzten Satz ausgesprochen, tat er ihr auch schon leid.
„Kindchen, bitte. Wer soll eine Tochter besser kennen als eine Mutter? Dieser Nikolaus etwa? Oder deine neuen Freunde, diese Einsiedler mit ihrem winzigen Hof? Mach die nicht lächerlich. Bestimmt haben die dir dieses ganzen Quatsch von Zufriedenheit und Glück erzählt. Vergiss nicht, solche Leute haben bei den Menschen gelebt. Deren Gedanken sind vergiftet. Nein, das ist bestimmt kein Umgang für dich. Am Ende landest du noch auf so einem Hof. Ich bitte dich, denk doch auch mal an mich dabei.“